Skip to main content
/ 12.06.2013
Matthias Krell

"Ach wie gut, daß niemand weiß ..." Zur Pragmatik der politischen Kommunikation

Münster: Lit 2000 (Schriftenreihe der Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung 5); 192 S.; brosch., 25,46 €; ISBN 3-8258-4727-6
Krell versucht zunächst unter Zuhilfenahme einer Reihe von Positionen der Sozialwissenschaften die Rolle und Funktionslogik von Kommunikations- und Machtprozessen zu skizzieren. Dabei lehnt er sich u. a. an Erkenntnisse von Karl Bühler, Helmuth Feike, Utz Maas, Niklas Luhmann oder Hannah Arendt an. Die daraus abgeleiteten Orientierungen werden dann in Ansätzen auf ein konkretes Beispiel übertragen: auf die so genannte semantische Offensive der CDU nach der verlorenen Bundestagswahl 1972. Diese O...
Matthias Krell

"Ach wie gut, daß niemand weiß ..." Zur Pragmatik der politischen Kommunikation

Münster: Lit 2000 (Schriftenreihe der Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung 5); 192 S.; brosch., 25,46 €; ISBN 3-8258-4727-6
Krell versucht zunächst unter Zuhilfenahme einer Reihe von Positionen der Sozialwissenschaften die Rolle und Funktionslogik von Kommunikations- und Machtprozessen zu skizzieren. Dabei lehnt er sich u. a. an Erkenntnisse von Karl Bühler, Helmuth Feike, Utz Maas, Niklas Luhmann oder Hannah Arendt an. Die daraus abgeleiteten Orientierungen werden dann in Ansätzen auf ein konkretes Beispiel übertragen: auf die so genannte semantische Offensive der CDU nach der verlorenen Bundestagswahl 1972. Diese Offensive - für die prominent der damalige Generalsekretär der CDU, Kurt Biedenkopf, steht - stützte sich auf den Befund, die "Linke" habe strategisch Begriff um Begriff des politischen Sprachschatzes der Bundesrepublik besetzt beziehungsweise umgedeutet und somit der Unionspolitik sozusagen das Wasser abgegraben. Für diese Diagnose führt Krell eine Reihe weiterer Belegstellen und "konservative" Autoren aus Wissenschaft und Publizistik an - u. a. Johannes Gross, Hans Maier oder Helmut Schelsky. Der Vorwurf der strategischen Umdeutung seitens der Linken erweist sich für Krell jedoch als unzureichend: Verschiebungen in der semantischen Struktur politischer Sprache seien nicht das Ergebnis strategischer Umdeutung, sondern reflektierten auch immer gesellschaftliche Veränderungen. Insofern ließe sich die konservative Sprachkritik als falsch adressierte Klage deuten: Nicht die Sprache habe man verloren, sondern die Überzeugungskraft der bisherigen Deutungsmuster für breite gesellschaftliche Gruppen. Nach Krell geraten zentrale Argumentationsmuster der semantischen Offensive der CDU (für die gleichwohl nur knappe "Belege" angeführt werden) dann letztlich zur Ausweichstrategie und zum Angriff gegenüber dem Gegner, ohne die Ursachen des Deutungsverlustes zu reflektieren: "Sie [die CDU] kompensiert so ihr Versagen, die gesellschaftlichen Diskurse in ihre eigenen integriert zu haben." (168) Die "Offensive" sei also vielmehr eine "Defensive" (172). Krell verweist auf eine Anzahl wichtiger Einsichten in der Betrachtung der Funktionsmechanismen politischer Sprache - wie etwa des fehlenden Urheberrechtsanspruchs auf politische Vokabeln. Auch seinem Ergebnis, wonach die "Sinnkonstanz sprachlicher Ausdrücke [...] nicht auf ihrer definitorischen Festlegung, sondern auf ihrer konstanten Verwendungsweise" (170) basiere, bietet eine interessante Perspektive auf die allseits geübte Praxis des Vorwurfs der falschen, hinterlistigen oder sinnentstellenden Verwendung geliebter Großbegriffe durch den parteipolitischen Gegner. In Krells Forderung, der "damals gelungenen mystifizierenden Inszenierung" (172) der Arbeitsgruppe Semantik der CDU dürfe nicht weiter Vorschub geleistet werden, schleicht sich jedoch (nicht zuletzt mit Blick auf aktuelle Beispiele der Auseinandersetzung um die semantische Besetzung der "Mitte") die Frage ein, wieso "Inszenierung" gleichwohl "gelingen" kann - und was dies über die Funktionslogik politischer Sprache besagt.
Manuel Fröhlich (MF)
Prof. Dr., Juniorprofessur für Politikwissenschaft, Universität Jena (www.manuel-froehlich.de).
Rubrizierung: 2.3332.332 Empfohlene Zitierweise: Manuel Fröhlich, Rezension zu: Matthias Krell: "Ach wie gut, daß niemand weiß ..." Münster: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/13551-ach-wie-gut-dass-niemand-weiss-_16234, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 16234 Rezension drucken
CC-BY-NC-SA