/ 11.06.2013
Bruno Latour
Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft. Aus dem Englischen von Gustav Roßler
Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000; 386 S.; geb., 28,63 €; ISBN 3-518-58296-8Die Sammlung von Aufsätzen des renommierten Soziologen, Philosophen und Wissenschaftsforschers aus Paris ist sicherlich nicht als politikwissenschaftliche, wohl aber als höchst politische Arbeit zu bezeichnen. Latour hat schon vor langer Zeit die Fabrikation von Erkenntnis in den Praktiken des naturwissenschaftlichen Labors verortet und den "inneren Aufbau wissenschaftlicher Fakten" analysiert, nun aber schreibt er mit großer Energie gegen das so empfundene Missverständnis an, im "Wissenschaftsk...
Bruno Latour
Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft. Aus dem Englischen von Gustav Roßler
Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000; 386 S.; geb., 28,63 €; ISBN 3-518-58296-8Die Sammlung von Aufsätzen des renommierten Soziologen, Philosophen und Wissenschaftsforschers aus Paris ist sicherlich nicht als politikwissenschaftliche, wohl aber als höchst politische Arbeit zu bezeichnen. Latour hat schon vor langer Zeit die Fabrikation von Erkenntnis in den Praktiken des naturwissenschaftlichen Labors verortet und den "inneren Aufbau wissenschaftlicher Fakten" analysiert, nun aber schreibt er mit großer Energie gegen das so empfundene Missverständnis an, im "Wissenschaftskrieg" zwischen Konstruktivisten und Realisten aufseiten der ersten zu stehen. Beide Positionen gründeten sich noch - negativ, positiv, dialektisch - auf die Dichotomie von Subjekt und Objekt, er hingegen spricht symmetrisch von menschlichen und nicht-menschlichen Wesen - beide als "Aktanten" bezeichnet -, die sich wechselseitig schaffen, zu Leben erwecken, austauschen, modifizieren. Unter anderem in einer Reihe von Fallstudien - eine bodenkundliche Expedition im Regenwald, die französische Atomforschung, die "Entdeckung" des Milchsäureferments durch Pasteur - zeigt er dieses Wechselspiel und entwickelt dabei einen differenzierten Begriffsapparat, der in einem Glossar zusammengestellt ist. "Das Ziel des Spiels besteht nicht darin, Subjektivität auf Dinge zu übertragen oder Menschen als Objekte zu behandeln oder Maschinen als soziale Akteure zu betrachten, sondern die Subjekt-Objekt-Dichotomie ganz zu umgehen und stattdessen von der Verflechtung von Menschen und nicht-menschlichen Wesen auszugehen." (236 f.) Politisch zielt Latour mit dieser Rede von Hybrid-Akteuren und (nicht-)menschlichen Kollektiven gegen den undemokratischen Expertenanspruch der Wissenschaft, der sich nur mittels der allein "polemischen Entitäten" Subjekt und Objekt auf eine objektive Natur berufen könne. In der Frage, was wirklich und was fabriziert an unserer Welt sei, will Latour dieser "erzwungenen Alternative entgehen, die nur dazu erfunden wurde, um das Politische unmöglich zu machen" (363). Die bisher zusammenhängende Definition von Subjekt, Objekt und Politik müsse umverteilt werden und in eine experimentelle und demokratische "Politik der Dinge" münden.
Wenngleich teilweise schon an anderen Orten veröffentlicht, sind die einzelnen Texte hier in starker Überarbeitung argumentativ zu einem konsistenten Ganzen verknüpft. Pointiert und anregend geschrieben, bietet es vielfältige Einsichten zum Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft, die aus der disziplinären Ferne doch auch die politikwissenschaftliche Forschung zu Wissenschaft, Technik und Experten zu irritieren in der Lage wären.
Inhalt: 1. "Glaubst Du an die Wirklichkeit?" Aus den Schützengräben des Wissenschaftskrieges; 2. Zirkulierende Referenz. Bodenstichproben aus dem Urwald am Amazonas; 3. Der Blutkreislauf der Wissenschaft. Joliots wissenschaftliche Intelligenz als Beispiel; 4. Von der Fabrikation zur Realität. Pasteur und sein Milchsäureferment; 5. Die Geschichtlichkeit der Dinge. Wo waren die Mikroben vor Pasteur?; 6. Ein Kollektiv von Menschen und nichtmenschlichen Wesen. Auf dem Weg durch Dädalus' Labyrinth; 7. Die Erfindung des Kriegs der Wissenschaften. Sokrates' und Kallikles' Übereinkunft; 8. Eine von der Wissenschaft befreite Politik. Die Kosmopolitik; 9. Überraschungsmomente des Handelns. Fakten, Fetische und Faitiches; Schluß: Wie läßt sich Pandoras Hoffnung freisetzen?
Achim Wiesner (WIE)
Dipl.-Politologe.
Rubrizierung: 5.2 | 5.42
Empfohlene Zitierweise: Achim Wiesner, Rezension zu: Bruno Latour: Die Hoffnung der Pandora. Frankfurt a. M.: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/12739-die-hoffnung-der-pandora_15249, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 15249
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Dipl.-Politologe.
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