Wer sich intensiver mit den Schriften Luhmanns beschäftigt, dem wird vermutlich dessen eigentümlicher Umgang mit textlichen Quellen - seien sie theoretischer, empirischer oder literarischer Herkunft - auffallen. Oftmals haben die von Luhmann angeführten Belege den Charakter irritierender Beliebigkeit, sodass dem Leser überlassen bleibt, ob den jeweiligen Verweisen nun lediglich illustrierende oder aber substanziell begründende Funktion zukommt. Der Sammelband wendet derartige Lektüreerfahrungen gleichsam ins Systematische: Die Autoren fragen - in durchaus demystifizierender Absicht - nach dem Verhältnis der luhmannschen "Supertheorie" zu ihren expliziten oder impliziten Referenztheorien. Die Beiträge des ersten Teils setzen sich mit Luhmanns Bezügen auf Kant, Hegel, Husserl und den Neukantianismus auseinander (15 ff.); im zweiten Teil (157 ff.) geht es um Luhmanns eigenwillige Rezeption neuerer Ansätze der Logik und Kybernetik (Spencer Browne; G. Günther) und im dritten Teil (305 ff.) werden zentrale thematische Elemente der Systemtheorie (u. a. Selbstbezüglichkeit; Differenz/Funktion; Weltbegriff) aufgegriffen. Im Selbstverständnis der Herausgeber soll auf diesem Wege - "jenseits aller Legendenbildung und unter Vermeidung jeglicher unkritischer Stilisierung der Systemtheorie zur wissenschaftlichen Leittheorie" (10) - die ausstehende Überprüfung der Rezeption spezifischer theoretischer Ansätze durch Luhmann eingeleitet werden. Inhalt: I. Systemtheorie und klassische Philosophie: Christiane Bender: Das System der Logik ist das Reich der Schatten ... (15-36); Peter-Ulrich Merz-Benz: Die Bedingung der Möglichkeit von Differenz. Das transzendentallogische Mißverständnis in der Systemtheorie Luhmanns (37-72); Lutz Ellrich: Entgeistertes Beobachten. Desinformierende Mitteilungen über Luhmanns allzu verständliche Kommunikation mit Hegel (73-126); Hans Bernhard Schmid: Subjektivität ohne Interität. Zur systemtheoretischen "Überbietung" der transzendentalphänomenologischen Subjekttheorie (127-153). II. Systemtheorie und transklassische Philosophie: Boris Hennig: Luhmann und die Formale Mathematik (157-198); Gerhard Wagner: Der Kampf der Kontexturen im Superorganismus Gesellschaft (199-223); Walter L. Bühl: Luhmanns Flucht in die Paradoxie (225-256); Wil Martens: Gegenstände und Eigenschaften. Vom Nutzen einer einfachen philosophischen Unterscheidung (257-302). III. Materiale, metatheoretische und ideologische Aspekte der Systemtheorie: Ota Weinberger: Neo-Institutionalismus versus Systemtheorie. Ein Streit um die philosophischen Grundlagen der Rechtstheorie und Rechtssoziologie (305-326); Thomas Khurana: Supertheorien, theoretical jetties und die Komplizenschaft von Theorien. Zu Verständnis- und Konstruktionsweisen im Feld selbstbezüglicher Theorien (327-370); Marcus Otto: Anzeichen eines Fundamentalismus der Funktion in Luhmanns systemtheoretischer Gesellschaftstheorie (371-380); Alexander Filippov: Wo befinden sich Systeme? Ein blinder Fleck der Systemtheorie (381-410).