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/ 12.06.2013
Hans Maier (Hrsg.)

Wege in die Gewalt. Die modernen politischen Religionen

Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 2000; 220 S.; 10,17 €; ISBN 3-596-14905-5
Der Band hat einen programmatischen Anspruch: Das Ziel liegt nicht allein darin, Kommunismus und Nationalsozialismus als politische Religionen zu vergleichen, sondern nach den geistigen Wurzeln dieser Ideologien im Denken der Aufklärung und in der Philosophie des 19. Jahrhunderts zu fragen. Wer diese Frage stellt, sieht die Ideologien (und ihre verbrecherischen Konsequenzen) nicht mehr als das Fremde an, das der Aufklärung entgegengesetzt ist, sondern als Konsequenz aus bestimmten geistigen Strö...
Hans Maier (Hrsg.)

Wege in die Gewalt. Die modernen politischen Religionen

Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag 2000; 220 S.; 10,17 €; ISBN 3-596-14905-5
Der Band hat einen programmatischen Anspruch: Das Ziel liegt nicht allein darin, Kommunismus und Nationalsozialismus als politische Religionen zu vergleichen, sondern nach den geistigen Wurzeln dieser Ideologien im Denken der Aufklärung und in der Philosophie des 19. Jahrhunderts zu fragen. Wer diese Frage stellt, sieht die Ideologien (und ihre verbrecherischen Konsequenzen) nicht mehr als das Fremde an, das der Aufklärung entgegengesetzt ist, sondern als Konsequenz aus bestimmten geistigen Strömungen, die Teil eben dieser Aufklärung sind. Politisch folgt daraus, dass es nicht genügt, die Demokratie als solche gegen die Ideologie zu stärken; vielmehr gilt es, unter den verschiedenen Möglichkeiten, Demokratie zu begründen, diejenigen zu erkennen, die die Gefahr eines Umschlags der Demokratie in Ideologie und Totalitarismus vermeidet. Der Band, der im Rahmen des Münchener Forschungsprojekts "Totalitarismus und politische Religionen" veröffentlicht wurde und auf eine Tagung zurückgeht, die im April 1999 in Genf stattfand, ist klar strukturiert: Die ersten fünf Beiträge untersuchen die "Gewaltpotenziale", die im Denken des 18. und 19. Jahrhunderts angelegt sind und die geistige Grundlage der "Gewaltausbrüche" des 20. Jahrhunderts bilden (siehe Vorwort [7 f.]). Die Autoren widmen sich hierbei dem Verständnis von Gewalt und Terror in der Französischen Revolution und in der deutschen Philosophie des 19. Jahrhunderts und zeigen die Bedeutung, die der Erste Weltkrieg für das Aufkommen der Ideologien hatte. So stellt z. B. Lübbe in einer provozierenden These einen geistigen Zusammenhang zwischen dem Terror der Französischen Revolution und den Massenvernichtungen des 20. Jahrhunderts her: "Die Reinigung der Gesellschaft von denjenigen, die sie an ihrer heilsideologisch geschichtlichen Selbstvollendung hindern - das ist, unter ausdrücklicher Inanspruchnahme medizinischer Metaphorik, seit der Aufklärung stets der Zentralsinn moderner Massenliquidationen gewesen." (52) Maier betont, dass die entscheidende Voraussetzung für diese Liquidationen nicht die technischen Möglichkeiten, sondern die geistige Grundhaltung der Akteure ist: "Um Massenvernichtungen möglich zu machen, bedarf es neben äußerer Zurichtungen auch psychologischer Hilfestellungen und legitimierender Argumente." (65) Eine solche Legitimation findet er insbesondere bei Nietzsche, der in den nachgelassenen Schriften "mit seiner ungehemmten Offenheit und Vernichtungs-Entschlossenheit" die Idee einer "'totalen' Politik" vorweggenommen hat. - Die letzten vier Beiträge bilden einen zweiten Teil, in dem untersucht wird, inwiefern die Ideologien unter Rückgriff auf religiöse Elemente einen "Massenrausch" (Vorwort [9]) erzeugt haben und stellen die Frage, wie sich nach dem Zusammenbruch 1945 beziehungsweise 1989-92 "die Entzauberung" und die "kollektive Ernüchterung" vollzieht (9). Kurzum: Dieser Band setzt Maßstäbe für die Totalitarismusforschung und verdient, eingehend diskutiert zu werden! Inhalt: Bronislaw Baczko: Hat die Französische Revolution den Totalitarismus hervorgebracht? (11-36); Hermann Lübbe: Totalitäre Rechtgläubigkeit. Das Heil und der Terror (37-53); Hans Maier: Gewaltdeutungen im 19. Jahrhundert. Hegel, Goethe, Clausewitz, Nietzsche (54-69); Peter Krüger: Der Erste Weltkrieg als Epochenschwelle (70-91); Omer Bartov: Utopie und Gewalt. Neugeburt und Vernichtung des Menschen (92-120); Michael Rohrwasser: Der Kommunismus. Verführung, Massenwirksamkeit, Entzauberung (121-142); Helmuth Kiesel: Der Nationalsozialismus. Faszination durch Erfolg? (143-165); Emilio Gentile: Die Sakralisierung der Politik (166-182); Philippe Burrin: Totalitäre Gewalt als historische Möglichkeit (183-201).
Hendrik Hansen (HH)
Dr., Lehrbeauftragter, Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
Rubrizierung: 5.432.25 Empfohlene Zitierweise: Hendrik Hansen, Rezension zu: Hans Maier (Hrsg.): Wege in die Gewalt. Frankfurt a. M.: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/13327-wege-in-die-gewalt_15964, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 15964 Rezension drucken
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