/ 16.04.2015
Livia Manthey / Olaf Leiße / Fabian Haun (Hrsg.)
Bosnien und Herzegowina zwischen Transformation, Europäisierung und Vergangenheitsbewältigung. Erkenntnisse einer Studienreise
Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2013 (Politica 96); 172 S.; 69,80 €; ISBN 978-3-8300-7220-1Zwar ist der Staat Bosnien und Herzegowina seit der Erklärung des Europäischen Rates von Feira im Juni 2000 potenzieller Kandidat für einen EU‑Beitritt, doch gleichzeitig gilt er als der „instabilste“ (7) in der Region Südosteuropa. Auch wenn der Krieg lange zurückliegt, wird die nationale Politik im Lande nach wie vor durch die großen ethnischen Parteien bestimmt, wie die Herausgeber einleitend schreiben. Diese und weitere Erkenntnisse haben sie während einer Studienreise gesammelt, als sich Studierende des Jenaer Lehrstuhls für Europäische Studien im September 2012 gemeinsam mit den Jungen Europäischen Föderalisten (ebenfalls aus Jena) in Sarajevo und Mostar mit Vertretern verschiedener deutscher und internationaler Institutionen und Organisationen sowie mit bosnischen Gesprächspartnern ausgetauscht haben. Das Ziel der Reise bestand darin, „den Annäherungsprozess des Landes an die Europäische Union, die damit verbundene demokratische Transformation sowie die Vergangenheitsbewältigung und Aussöhnung zwischen den Bevölkerungsgruppen vor Ort zu untersuchen“ (10). In den Beiträgen, deren Aussagen sich vor allem auf die Ergebnisse der Gespräche stützen, wird ein problematisches Bild der Transformation in Bosnien und Herzegowina gezeichnet. Das Verhältnis zwischen den drei Volksgruppen, den bosnischen Muslimen, Kroaten und Serben, sei „von tiefem Hass geprägt“ (148). Sie lebten jeweils mehrheitlich unter sich. Auch im Alltag werde die Trennung der Ethnien vielfach sichtbar, wie etwa im Medien‑ oder Bildungssektor. Das liege auch daran, dass die Vergangenheitsbewältigung nur schleppend vorankomme. Die Aufarbeitung von Kriegsverbrechen weise große Defizite auf, so lebten etwa viele Opfer sexueller Kriegsverbrechen – überwiegend Frauen – am Rande der Gesellschaft in Armut. Bosnien und Herzegowina sei seit dem Dayton‑Abkommen „ein riesiges ‚Demokratielabor‘“. Entstanden sei „eine Ménage à trois: Wenn einer zu mächtig wird, bilden die anderen eine taktische Koalition – so wird niemand mächtiger, doch es ist ein sich‑selbst‑blockierendes System entstanden. Die Gleichheit der drei Gruppen der konstituierenden Völker ist zur ‚Zwangsjacke‘ geworden“ (46). Die bosnische Verfassung verhindere also eine funktionierende demokratische Ordnung. Der Friedensvertrag habe zwar den Krieg beendet und sollte für eine Übergangsfrist eine Nachkriegsordnung schaffen. Doch die Möglichkeit einer Minderheit, durch ein Veto eine Entscheidung blockieren zu können, mache die Entscheidungsfindung problematisch. Angesichts divergierender Vorstellungen der drei Volksgruppen von der Struktur des Staates – während die Bosniaken einen stärkeren Gesamtstaat fordern und die Kroaten für eine eigene Entität eintreten, lehnen die Serben dies ab und plädieren für mehr Autonomie – sei es nicht überraschend, dass der Verfassungsreformprozess stocke.
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Rubrizierung: 2.61 | 2.2 | 2.23 | 4.41 Empfohlene Zitierweise: Sabine Steppat, Rezension zu: Livia Manthey / Olaf Leiße / Fabian Haun (Hrsg.): Bosnien und Herzegowina zwischen Transformation, Europäisierung und Vergangenheitsbewältigung. Hamburg: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/38290-bosnien-und-herzegowina-zwischen-transformation-europaeisierung-und-vergangenheitsbewaeltigung_45886, veröffentlicht am 16.04.2015. Buch-Nr.: 45886 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA