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/ 16.06.2016
Kaspar Villiger

Demokratie und konzeptionelles Denken. Politik im Spannungsfeld von ökonomischen Zwängen, Emotionen und Zufällen

Zürich: Neue Zürcher Zeitung 2015 (Schriften des Schweizerischen Instituts für Auslandsforschung 1); 112 S.; 20,- €; ISBN 978-3-03810-099-7
Kaspar Villiger, ehemaliger Bundesrat und Präsident der Bank UBS, ist in der Schweiz kein Unbekannter. Verhält es sich in der heutigen Welt nun tatsächlich so, dass „ziemlich alles schiefläuft“ (9)? Folgt man Villigers vornehmlich auf das Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft abzielende Diagnose, so stellt sich die Frage nach „Leitideen für wirtschaftspolitisches Handeln und Reformarbeit“ (13). Vieles der Diagnose basiert dabei auf „Lebenserfahrung“ (16). Sie zeige, dass die Annahme weitgehend homogener wirtschaftlicher Bedingungen in einer Gesellschaft ebenso utopisch sei wie die Vorstellung, dass Menschen jenseits persönlicher Egoismen handelten – auch wenn diese durch „persönliche Fairnesspräferenzen“ (18) ausgeglichen würden. Zudem reagierten Menschen auf Anreize, seien mal mehr, mal weniger rational. Um nun das komplexe Zusammenspiel einer Vielheit von Menschen im Staat zu regeln, bedürfe es politischer Institutionen. Seien diese und die von ihnen erlassenen Regeln gelungen, dann funktioniere eigentlich auch der ganze Rest: „Politische Institutionen verfügen über die Macht und Fähigkeit, die ökonomischen Institutionen zu gestalten und zu implementieren. Sie entscheiden damit im Grunde über Wohlstand und Armut eines Staates.“ (26) Träfe dieser ebenso simple wie auf dem Papier einleuchtende Satz zu, dann wäre in der Tat alles sehr einfach: Bangladesch gibt sich eine funktionierende, demokratische Verfassung, auf deren Basis florieren die politischen Institutionen, die einen Mindestlohn und angemessene Arbeitsschutzbestimmungen nur zu beschließen brauchen – und niemand wird sich mehr die schlimmen Bilder eingestürzter Textilfabriken mit hunderten Toten anschauen müssen. Noch ungefährer wird Villiger, wenn es um die Würdigung der Demokratie geht. Eine wirtschaftlich erfolgreiche Demokratie brauche „mündige und selbstverantwortliche Menschen“ (65), um langfristig erfolgreich zu bleiben – ökonomisch, wohlgemerkt. Denn was für die Demokratie spreche, sei letztlich auch, dass sie langfristig mehr Wohlstand zu erwirtschaften vermöge als autoritäre Systeme. Wenn Gewinnzyklen jedoch immer kürzer getaktet werden, wen interessiert dann eigentlich noch langfristige Prosperität? Und was, wenn am Ende doch alles anders kommt, und die Demokratie vor unlösbaren Problemen stehen sollte? Dann, so Villigers Rat, solle die Politik die guten Zeiten für eine Konsolidierung der Staatsfinanzen nutzen – mit anderen Worten: Austerität praktizieren. Die solcherart vorgetragene Zusammenschau aus Diagnose, Analyse und Programmatik ist letztlich zu holzschnittartig geraten, um tragfähige politische Lösungsansätze jenseits bloßer Allgemeinplätze zu formulieren.
{LEM}
Rubrizierung: 2.22.212.222.52.61 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Kaspar Villiger: Demokratie und konzeptionelles Denken. Zürich: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/39757-demokratie-und-konzeptionelles-denken_48055, veröffentlicht am 16.06.2016. Buch-Nr.: 48055 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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