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/ 11.06.2013
Wolf-Dietrich Bukow / Markus Ottersbach (Hrsg.)

Der Fundamentalismusverdacht. Plädoyer für eine Neuorientierung der Forschung im Umgang mit allochthonen Jugendlichen

Opladen: Leske + Budrich 1999 (Interkulturelle Studien 4); 361 S.; kart., 48,- DM; ISBN 3-8100-2500-3
Die Lebenslage allochthoner Jugendlicher - also der Kinder und Enkel der Gastarbeiter - in der deutschen Gesellschaft ist Gegenstand etlicher empirischer Untersuchungen. Dabei werden oftmals Unterschiede relativ zu entsprechenden anderen Altersgruppen dieser Gesellschaft beobachtet, die etwa den Grad der Integration in das Bildungs- und Beschäftigungssystem betreffen oder spezifische (religiöse) Überzeugungen und Handlungsorientierungen hervorheben. Nicht nur in der Medienöffentlichkeit, sondern eben auch im Wissenschaftssystem - so die Herausgeber - werden diese Unterschiede dann nicht selten auf die "kulturalistische" Leitdifferenz von pluralistischer Mehrheitsgesellschaft versus fundamentalistische Minderheiten bezogen, die eigentlich eine unzulässige Ethnisierung von sozialen Problemen darstelle. Die Rede vom "Fundamentalismusverdacht" will derartige Unterscheidungen ideologiekritisch problematisieren. Die Zurechnung von Einstellungen oder Verhalten auf Gruppen unserer Gesellschaft, die nur im Blick dieser Beobachter durch ihre Herkunft definiert werden, sei eine politische interessierte Konstruktion: "Wenn heute bei den Kindern und den Enkeln der Einwanderer nach fundamentalistischen Eigenschaften gesucht wird, dann geschieht diese Suche letztlich vor dem Hintergrund einer neuen globalen politischen Front, einer Front, die zur Zeit zwischen den westlichen bürgerlichen Gesellschaften und den vom Islam geprägten Staaten im Kampf um Ressourcen wie Erdöl, Trinkwasser und Land installiert wird." (13) Von dieser starken These ausgehend wollen die im Band vertretenen Autoren "für eine Neuorientierung in der Minderheitenforschung" plädieren (14), die im Kern eine Zurückweisung reduktionistischer Verfahren und Ansätze beinhaltet. Daß dies angesichts der sensiblen Thematik vielfach in provozierender Form geschieht, kann nicht überraschen, wohl aber, daß sich allein fünf Beiträge darauf konzentrieren, der Studie von Heitmeyer/Müller/Schröder ("Verlockender Fundamentalismus" 1997) einen derartigen Reduktionismus nachzuweisen. Inhalt: 1. Die multikulturelle Gesellschaft als Bedrohung? Zum Stellenwert des Kulturellen in der Postmoderne: Birgit Rommelspacher: Die multikulturelle Gesellschaft am Ende - oder am Anfang? (21-35); Christoph Butterwegge: Fundamentalismus und Gewalt als Grundmuster der Weltpolitik? Zur Kritik an Samuel P. Huntingtons These vom "Kampf der Kulturen" (36-49); Lutz Hoffmann: Die Konstruktion von Minderheiten als gesellschaftliches Bedrohungspotential (50-73); Jan Rath / Thijl Sunier / Astrid Meyer: Der Islam in den Niederlanden: Zur Bedeutung islamischer Institutionen in einer entsäulten Gesellschaft (74-84); Thijl Sunier: Niederländisch-islamische Staatsbürgerschaft? Ansichten über Islam, Bürgerschaft und Bürgerrechte unter türkischen Jugendlichen in den Niederlanden (85-97). 2. "Kruzitürk"? Zur Skandalisierung des Islams in der Wissenschaft: Werner Schiffauer: Beschwörungsrhetorik: Zur Konstruktion des islamischen Fundamentalismus in der Wissenschaft (101-118); Georg Auernheimer: "Verlockender Fundamentalismus" - ein problematischer Beitrag zum Diskurs über "ausländische Jugendliche" (119-133); Susanne Lang: Zur Konstruktion des Feindbildes "Islam" in der Bielefelder Studie "Verlockender Fundamentalismus" (134-158); Marco Heinz: Der fundamentale Irrtum im "ethnischen Diskurs" - Wilhelm Heitmeyers unkritischer Umgang mit einem undefinierten Begriff (159-177); Andreas Pott: Ethnizität und Migrationsgewinner (178-193). 3. Pädagogische Nachfragen: Wolf D. Aries: Geschichte der Minderheiten aus religionspädagogischer Sicht (197-206); Hans-Joachim Roth: Und immer wieder das Kopftuch - Zur Bedeutung des Themas Islam im Kontext Interkultureller Pädagogik (207-228). 4. Weiterleben nach der Einwanderung? Was den einen Recht ist, soll den anderen billig sein: Paul Mecheril: Wer spricht und über wen? Gedanken zu einem (re-)konstruktiven Umgang mit dem Anderen des Anderen in den Sozialwissenschaft (231-266); Wolf-Dietrich Bukow: Die Alltagssituation allochthoner Jugendlicher. Wege aus einer kulturalistisch reduzierten Minderheitenforschung am Beispiel der allochthonen Jugendlichen (267-287); Claudia Nikodem / Erika Schulze / Erol Yildiz: Städtischer Multikulturalismus - Eine neue Lesart (288-327); Markus Ottersbach: Plädoyer für einen anderen Umgang mit ethnischen Minderheiten in postnationalen Zivilgesellschaften (328-339).
Thomas Mirbach (Mir)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.352.232.372.614.42 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Wolf-Dietrich Bukow / Markus Ottersbach (Hrsg.): Der Fundamentalismusverdacht. Opladen: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/10249-der-fundamentalismusverdacht_12129, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 12129 Rezension drucken
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