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/ 10.03.2016
Martín Caparrós

Der Hunger. Aus dem Spanischen von Sabine und Hanna Grzimek

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2015; 844 S.; 29,95 €; ISBN 978-3-518-42512-1
Martín Caparr Ós – argentinischer Journalist, Autor und wichtiger spanischsprachiger Intellektueller – zeichnet ein globales Panorama des Hungers, benennt die Ursachen und Folgen. Das mit Scharfsinn, Einfühlungsvermögen und gedanklicher Tiefe geschriebene Werk geht der folgenden polemischen Frage nach: „Wie zum Teufel können wir weiterleben, obwohl wir wissen, dass diese Dinge geschehen?“ (58) Sie lässt zugleich den aufklärerischen Anspruch des Autors erkennen. Diese Ausgangsfrage wird zum Hauptmotiv einer umfassenden Reportage, für die der Autor in allen Teilen der Erde sowohl mit zahlreichen Betroffenen als auch mit Profiteuren gesprochen hat. Mit diesen – mitunter erschütternden – Beispielen zeichnet er ein umfassendes Bild, mit dem er die Vielseitigkeit der Ursachen aufdeckt, jedoch nicht verschweigt, dass Hunger in letzter Konsequenz immer Ausdruck extremer Armut und sozialer Ungleichheit ist. Dies gilt für bekannte Beispiele wie Niger, Indien oder Bangladesch, aber auch für die USA, wo viele Menschen ebenfalls unter Hunger leiden. Ergänzt wird diese Reportage durch eine umfassende Geschichte des Hungers, die aufzeigt, dass Hunger und Armut zwar Teil menschlicher Realitäten, jedoch weder unvermeidlich noch unüberwindlich sind. So nehmen Betrachtungen zu Nahrungsmittelspekulationen, zur Handelspolitik und modernen Agrowirtschaft und zum Land‑Grabbing einen wesentlichen Stellenwert ein, da sie als Ausdruck einer verfehlten Politik zu den Hauptursachen des Hungers in der Welt zählen. Diese Perspektive mündet in eine Dekonstruktion etablierter Sichtweisen, die den Hunger zwar anprangern, aber weder seine vermeidliche Normalität noch die krasse soziale Ungleichheit als Ausdruck gesellschaftlicher Fehlentwicklung grundsätzlich infrage stellen. In der Zusammenschau entsteht so eine umfassende Kritik des westlichen Selbstverständnisses. Aufgezeigt wird, dass Hunger der drastischste Ausdruck akzeptierter sozialer Ungleichheit ist. Es handelt sich um ein lesenswertes Werk, das sich durch eine ausgeklügelte Argumentationsstruktur, journalistischen Scharfsinn, große Fachkenntnis und vor allen durch Empathie auszeichnet.
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Rubrizierung: 4.452.22.642.672.682.65 Empfohlene Zitierweise: Martin Repohl, Rezension zu: Martín Caparrós: Der Hunger. Frankfurt a. M.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/39519-der-hunger_48071, veröffentlicht am 10.03.2016. Buch-Nr.: 48071 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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