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/ 17.06.2013
Joseph E. Stiglitz

Die Schatten der Globalisierung. Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt

Berlin: Siedler Verlag 2002; 304 S.; Ln., 19,90 €; ISBN 3-88680-753-3
Stiglitz, der im Jahr 2001 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten hat, liefert eine Fundamentalkritik der Tätigkeit des Internationalen Währungsfonds (IWF). Für eine solche ist er durch seine Laufbahn prädestiniert: Als Wissenschaftler hat er sich mit den Bedingungen des Funktionierens von Märkten und dem Phänomen des Marktversagens aufgrund von Informationsmängeln auseinander gesetzt; mit praktischen Fragen der Wirtschaftspolitik war er bereits als führender Wirtschaftsberater der Regierung Clinton befasst (1993 bis 1997), bevor er von 1997 bis Anfang 2000 Chefvolkswirt der Weltbank war. Die Erfahrungen dieser letzten Station wertet Stiglitz in diesem Buch aus. Dabei ist die Warnung, die er gleich im Vorwort ausspricht, leider nur allzu berechtigt. Das Ziel ist nicht eine wissenschaftliche Analyse: Vielmehr "beschreibe ich die Ereignisse, die ich selbst erlebt habe, und erzähle einige der Geschichten, von denen ich gehört habe" (14). Was dann folgt, hätte allerdings mehr Analyse und weniger Erzählstil, mehr Struktur in der Argumentation und weniger Redundanz verdient. Stiglitz kommt zu dem Ergebnis, dass der IWF seine ursprüngliche, im Rahmen des Bretton-Woods-Abkommens von 1944 vorgesehene Aufgabe, einzelnen Staaten im Falle von Wirtschaftskrisen kurzfristige Finanzhilfen zur Stabilisierung ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zur Verfügung zu stellen, de facto nicht erfüllt. Seit Anfang der Achtzigerjahre verfolgt er stattdessen das Ziel der Durchsetzung neoliberaler Ideologie: "Wenn man einem Papagei den Spruch 'fiskalische Austerität, Privatisierung und Marktöffnung' beigebracht hätte, dann hätte man in den Achtziger- und Neunzigerjahren auf den Rat des IWF verzichten können." Mit dieser Ideologie dient der IWF in erster Linie den Interessen der (westlichen) Finanzgeber, während er die betroffenen Entwicklungsländer mit den oktroyierten Maßnahmen nur zu oft in die wirtschaftliche Katastrophe führt. Die negative Wirkung dieser Maßnahmen resultiert in vielen Fällen daraus, dass die Bedingungen für das Funktionieren der geforderten Liberalisierungen und Privatisierungen nicht gegeben sind: Die Marktwirtschaft soll durchgesetzt werden, ohne dass zuvor die Rahmenbedingungen für funktionierende Märkte geschaffen wurden (siehe 95). Stiglitz belegt seine Thesen mit eindrucksvollen Beispielen, die verdeutlichen, wie sehr der Neoliberalismus zur neuen Ideologie der Globalisierung geworden ist. Doch seine Gegenvorschläge können vielfach nicht recht überzeugen: Auf der theoretischen Ebene begegnet er den liberalen "Mantras" (45) mit einer Mischung aus Pragmatismus und Keynesianismus. Die Kritik an den falschen Konditionen, an die der IWF die Vergabe von Krediten bindet, mündet in die recht merkwürdige Forderung nach einer Abschaffung jeglicher Konditionierung (60 ff.). Und die Forderung, die betroffenen Entwicklungsländer in ihrer eigenen Entscheidungsfindung zu unterstützen statt ihnen in neokolonialer Manier wirtschaftspolitische Maßnahmen zu diktieren (siehe 108), überschätzt die Qualität der politischen Willensbildung und der demokratischen Prozesse in vielen Entwicklungsländern ebenso, wie der IWF seinerseits die Voraussetzungen für das Funktionieren freier Märkte in diesen Ländern überschätzt. Doch trotz der diversen Kritikpunkte ist das Buch wichtig: Die Kenntnisse und der Erfahrungsschatz des Autors machen es zu einer lohnenden Lektüre, und die Kritik am IWF verdient - gerade weil sie von einem Ökonomen formuliert wird - unbedingte Beachtung.
Hendrik Hansen (HH)
Dr., Lehrbeauftragter, Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
Rubrizierung: 4.432.622.684.444.3 Empfohlene Zitierweise: Hendrik Hansen, Rezension zu: Joseph E. Stiglitz: Die Schatten der Globalisierung. Berlin: 2002, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/16849-die-schatten-der-globalisierung_19360, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 19360 Rezension drucken
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