/ 22.06.2013
Maike Lehmann
Eine sowjetische Nation. Nationale Sozialismusinterpretationen in Armenien seit 1945
Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2012 (Eigene und Fremde Welten 26); 442 S.; kart., 43,- €; ISBN 978-3-593-39492-3Diss. HU Berlin; Begutachtung: J. Barberowski. – Lange Zeit kämpfte die armenische Sowjetrepublik für die Anerkennung des 1915 verübten Genozids an Armeniern im Osmanischen Reich. Obgleich nicht einmal die russische Mutterrepublik den Völkermord als solchen ansah, blieb Armenien der loyale Verbündete Moskaus und wurde erst durch die 1988 stattfindenden Demonstrationen abtrünnig. Die Missachtung der „nationalen“ armenischen Interessen kann die über Jahrzehnte bestehende Treue zur russischen Sowjetrepublik auf den ersten Blick nicht begreiflich machen, weswegen sich Maike Lehmann auf die Spurensuche nach einer Erklärung für dieses Phänomen begibt und sie vorrangig in der sprachlichen Verhandlung von Nation und Sozialismus findet. Im Rahmen ihrer akribischen Forschungen sichtete die Autorin zahlreiche Parteiakten, wissenschaftliche und schöngeistige Literatur, Quellen der bildenden Kunst sowie der Architektur und führte außerdem retrospektive Interviews mit Armeniern. Hierdurch kristallisiert sie einerseits die Identifikation, das Selbstverständnis und den Gemeinschaftssinn heraus, den der selbstverständliche Gebrauch der bolschewistischen Sprache generierte. Andererseits zeigt Lehmann auch, dass die Ausdeutung des bolschewistischen Idioms extrem dynamisch verlief, was Handlungs- und Interpretationsspielräume eröffnete, die sowohl die Legitimierung als auch die Erosion des Staatssozialismus erklären helfen. In ihrer Analyse erschließt Lehmann die im jeweiligen Kontext sinnhafte und damit sinnstiftende Verbindung zwischen Sozialismus und Nation, durch die die Ziele des sowjetischen Projektes durch die armenische Republik unterstützt wurde. Diese Verschmelzung beider Begriffe wurde auch durch Moskau unterstützt, das den Bau architektonischer Denkmäler genehmigte, in denen nationale Besonderheit und sozialistisches Projekt ineinandergriffen. Dass diese Verbindung bis heute überlebt hat und damit (zumindest teilweise) immer noch wirkmächtig ist, zeigt der Gebrauch des bolschewistischen Idioms und die explizite Befürwortung des Lenin’schen Projektes durch die Interviewpartner Lehmanns.
Ines Weber (IW)
M. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.62 | 2.63 | 2.23 | 2.25
Empfohlene Zitierweise: Ines Weber, Rezension zu: Maike Lehmann: Eine sowjetische Nation. Frankfurt a. M./New York: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/34674-eine-sowjetische-nation_41673, veröffentlicht am 15.11.2012.
Buch-Nr.: 41673
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M. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
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