„Lateinamerika gilt als Laboratorium von Vergangenheitspolitiken und Erinnerungskulturen“, heißt es im Editorial. Nach einer Phase oberflächlicher „‚Versöhnung’ auf Basis einer mehr oder weniger institutionalisierten Straflosigkeit und eines gesellschaftlichen Beschweigens des Ungeheuerlichen“ bis in die 90er-Jahre werden heute vor allem in Südamerika „staatlicherseits Gerichtsprozesse, Gedenkstätten, Symposien und Kunstprojekte lanciert, die Kooperation mit Menschenrechtsbewegungen gehört für Regierungen inzwischen zum guten Ton.“ (8) Die 32. Ausgabe des Jahrbuches ist dem Erinnern an Gewalterfahrungen als einem Aspekt der Erinnerungs- und Vergangenheitspolitik gewidmet. In den Beiträgen werden die verschiedenen Facetten des Erinnerns untersucht. Es geht um subjektive, kollektive und institutionalisierte Formen und deren wechselseitige Bezüge sowie um die geschlechtliche Dimension des Erinnerns. In zwei Beiträgen wird die Bedeutung von Erinnerungsorten, im zeitlichen Sinne am Beispiel des 11. September 1973, dem Militärputsch in Chile, im räumlichen Sinne am Beispiel der Einrichtung von Gedenkstätten in ehemaligen Folteranlagen in Argentinien analysiert. Außerdem werden unterschiedliche Erinnerungsakteure in den Blick genommen, so zum Beispiel die sich neu herausgebildete „hijos-Bewegung“ der Kinder von Verschwundenen. Ruth Stanley zeigt in ihrem übergeordneten Beitrag über die juristische Aufarbeitung von Bürgerkrieg und Staatsterror, dass auch der inzwischen demokratisch gewandelte Staat keine Verantwortung für die Bestrafung schwerster Menschenrechtsverbrechen übernehmen will, was Menschenrechtsaktivisten zu einem Kampf gegen die Straflosigkeit veranlasst habe, „der inzwischen ebenso grenzüberschreitend vernetzt ist wie einst die Repression“ (38).