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/ 03.06.2013
Johan Galtung

Frieden mit friedlichen Mitteln. Friede und Konflikt, Entwicklung und Kultur. Aus dem Englischen übersetzt von Hajo Schmidt

Opladen: Leske + Budrich 1998 (Friedens- und Konfliktforschung 4); 475 S.; kart., 39,- DM; ISBN 3-8100-1864-3
Nach wie vor ist Galtung der vermutlich exponierteste Ideengeber der Friedensforschung. Ausgehend von seinem bereits Ende der sechziger Jahre entwickelten Konzept der strukturellen Gewalt und den hieran orientierten Konflikt- und Entwicklungstheorien rezipiert er immer wieder aktuelle politische wie wissenschaftliche Neuerungen und macht diese für sein Projekt fruchtbar. Beispielsweise hat er auch die seit den achtziger Jahren einsetzende "kulturwissenschaftliche Wende" in der Friedensforschung rasch mitvollzogen und gehört zu ihren maßgebenden Protagonisten. Entsprechend spricht er heute nicht mehr nur von direkter und struktureller, sondern auch von kultureller Gewalt. Mit diesem Phänomen nimmt Galtung die kulturellen "Tiefenschichten" einer Zivilisation in den Blick, die gewissermaßen das legitimatorische Fundament der anderen Gewaltformen abgeben: "Unter kultureller Gewalt verstehen wir jene Aspekte der Kultur, der symbolischen Sphäre unserer Welt - man denke an Religion und Ideologie, an Sprache und Kunst, an empirische und formale Wissenschaften (Logik, Mathematik) -, die dazu benutzt werden können, direkte oder strukturelle Gewalt zu rechtfertigen oder zu legitimieren" (341). Galtungs Ausführungen sind wie stets auch in dem 1996 in englischer Sprache erschienenen Buch faszinierend und anregend, wie stets aber kann man auch hier einen recht leichtfertigen Umgang mit Begriffen und eine bisweilen sehr oberflächliche Auseinandersetzung mit den von ihm behandelten Phänomenen konstatieren, was dann - ebenfalls nicht ungewöhnlich für Galtung - gelegentlich zu skurrilen, manchmal geradezu hysterischen, auf alle Fälle aber schiefen Schlußfolgerungen führt. So ist entsprechend Galtungs Konzept nicht nur nach wie vor Gewalt allgegenwärtig (s. 361), sondern mit dem Begriff der kulturellen Gewalt kommt nun auch beispielsweise der mehr oder weniger große Gewaltcharakter von Religionen als solchen in den Blick. Wenn in diesen Kontexten dann etwa festgestellt wird, daß der Auserwähltheitsglaube des jüdischen Volkes einen "fürchterlichen Typ kultureller Gewalt" (354) darstelle, wird man fragen dürfen, ob Galtungs Friedenstheorie hier nicht über ihre ohnehin sehr weit gesteckten Grenzen hinauszielt. Desungeachtet gibt Galtungs ursprünglich aus einem Kursprojekt der Fernuniversität Hagen hervorgegangenes Kompendium einen guten Überblick über die Themen und den derzeitigen Stand der Friedensforschung. Aus dem Inhalt: Teil IV: Zivilisationstheorie: 1. Kulturelle Gewalt; 2. Sechs Kosmologien: eine impressionistische Darstellung; 3. Implikationen: Frieden, Krieg, Konflikt, Entwicklung; 4. Spezifizierungen: Hitlerismus, Stalinismus, Reaganismus; 5. Explorationen: Gibt es Therapien für pathologische Kosmologien?
Michael Henkel (MH)
Priv.-Doz. DR., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 4.415.444.44 Empfohlene Zitierweise: Michael Henkel, Rezension zu: Johan Galtung: Frieden mit friedlichen Mitteln. Opladen: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/3297-frieden-mit-friedlichen-mitteln_4314, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 4314 Rezension drucken
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