/ 11.06.2013
Hans-Henning Scharsach (Hrsg.)
Haider. Österreich und die rechte Versuchung
Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2000 (rororo aktuell); 285 S.; 16,90 DM; ISBN 3-499-22933-1Ob Bundesparteiobmann oder "einfaches Parteimitglied" (das immerhin weiter dem Koalitionsausschuss in Wien angehört und demnach am "Controlling" der ÖVP-FPÖ-Regierungsarbeit beteiligt ist) - an Jörg Haider kommt niemand vorbei, der sich mit der österreichischen Politik der letzen Dekade befasst. Der Sammelband, dessen Herausgeber für sein Werk "Haiders Kampf" den Bruno-Kreisky-Preis erhalten hat, enthält Beiträge in zumeist hoher sachlicher wie sprachlicher Qualität, die Analysen zum biographischen Hintergrund Haiders, zum Aufstieg der FPÖ, ihrem historischen und ideologischen Hintergrund sowie zu Verbindungen zur rechtsextremen Szene beinhalten. Diese Aufsätze sind, wenn auch teilweise eher publizistisch als wissenschaftlich verfasst, allemal von politikwissenschaftlicher Relevanz. Man mag nicht allen vorgestellten Überlegungen folgen, etwa manch alarmistischen Untertönen: "Die Verhaiderung Europas ist wiederum das Problem in beinahe allen Mitgliedstaaten der Union. Überall sind radikale Verführer der Rechten auf dem Vormarsch" (17). Die Jelineksche These des homoerotischen Männerbundes gehört zumal zu jenen Inhalten des Buches, die hinlänglich bekannt sind. Reizvoll und im Ansatz vielversprechend, wenngleich aus wissenschaftlicher Sicht als Ferndiagnose problematisch, ist der Versuch, Haiders "narzisstische Persönlichkeitsstörung" (169) aufzuzeigen.
Scharsach legt hier einen thematisch breit gefächerten Sammelband vor, gut lesbar, sogar unterhaltsam, prägnant und informativ, daher für jeden politisch Interessierten eine echte Empfehlung. Auch Wissenschaftler sollten sich durch die populäre Aufmachung des Taschenbuches nicht von der gewinnbringenden Lektüre der meisten Aufsätze (etwa von Pelinka oder Plasser / Ulram) abschrecken lassen.
Inhalt: I. Der Weg zur Macht: Hans-Peter Martin: Die Schockwelle in Europa (13-21); Hans Rauscher: Eine geschlossene Verdrängungskette. Warum Österreichs Konservative der Haider-Partei zur Regierungsmacht verhalfen (22-45); Anton Pelinka: Die rechte Versuchung. SPÖ, ÖVP und die Folgen eines falschen Tabus (46-66); Hannes Androsch: Die Verpflichtung zur Erinnerung. Österreichs Vergangenheit und ihre unzulängliche "Bewältigung" (67-85); Peter Pelinka: Ein Hasardeur als Dompteur. Wolfgang Schüssel: Politik im Schatten Jörg Haiders? (86-103). II. Die FPÖ und Haider: Brigitte Bailer / Wolfgang Neugebauer / Heribert Schiedel: Zur Erfolgsgeschichte einer rechtsextremen Partei (105-127); Fritz Plasser / Peter A. Ulram: Protest ohne Parteibindung. Die Wählerschaft der FPÖ (128-143); Joachim Riedl: Der Dominator von Bad Goisern. Über die Versuchungen des jungen H. (144-168); Alfred Worm: Widersprechen, auffallen, trendsetten. Jörg Haider - eine schlechte, aber perfekte Inszenierung (169-179); Ruth Wodak: "Echt, anständig und ordentlich". Wie Jörg Haider und die FPÖ Österreichs Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beurteilen (180-187); Hans-Henning Scharsach: Bekenntnis zur sozialen Volksgemeinschaft. Braune Markierungen auf dem Weg in die "Dritte Republik" (188-208); Hans-Henning Scharsach: Gewalt von rechts. Österreichs gefährlichste Neonazis kamen aus der FPÖ (209-225). III. Die Herausforderung der Kultur: Heinz Sichrovsky: Heimathaftung. Der Kulturkampf in Österreich (227-238); Elfriede Jelinek: Nichts ist mehr wie vorher (239-242); Hermann Nitsch: zur politischen Lage in österreich (243-249); Werner Schneyder: Die rechte Meinung (250-252). IV. Die Herausforderung Europas: Richard Herzinger: Das ungeschriebene Gesetz Europas. Der Aufstieg Haiders stellt den Grundkonsens westlicher Demokratien in Frage (253-269); Hella Pick: Lueger und Haider oder Die verführerische Kraft des Populismus (270-279); Georges-Arthur Goldschmidt: Politische Verantwortung für die Zukunft. Haiders Populismus und die Leugner der Shoa (280-282).
Leslie Piert (LP)
Rubrizierung: 2.4 | 2.24 | 2.22
Empfohlene Zitierweise: Leslie Piert, Rezension zu: Hans-Henning Scharsach (Hrsg.): Haider. Reinbek: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/12030-haider_14355, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 14355
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