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/ 03.06.2013
Helmut Kohl

"Ich wollte Deutschlands Einheit" Dargestellt von Kai Diekmann und Ralf George Reuth

Berlin: Propyläen Verlag 1996; 488 S.; Ln., 48,- DM; ISBN 3-549-05597-8
Als amtierender Regierungschef kann Kohl schon wegen der gebotenen Rücksichtnahmen keine Memoiren schreiben. Dem Vernehmen nach beabsichtigt er auch nicht, dies später noch zu tun. Da er wohl davon ausgeht, die Macht noch länger zu behalten, aber die Darstellung seiner Rolle bei der Herstellung der deutschen Einheit offensichtlich nicht weiter vollständig anderen überlassen wollte, hat er seine Erinnerungen im wahrsten Sinne des Wortes von zwei Journalisten der Bild-Zeitung aufschreiben lassen. Neben einer Reihe von vielstündigen Gesprächen mit Kohl hatten die Journalisten nach eigener Auskunft Einblick in bislang unveröffentlichte Dokumente. Das Ergebnis ist eine - stilistisch zuweilen verwirrende - Mischung aus langen Passagen wörtlicher und indirekter Rede (rund zwei Drittel des gesamten Textes) und kurzen, Fakten und Sachverhalte schildernden Überleitungen der Autoren, mit gelegentlichen wertenden Einsprengseln. Bei dieser Grundanlage des Buches als Reportage überrascht es nicht, daß eine Analyse der Sachverhalte in der weitgehend deskriptiven und chronologischen Schilderung kaum vorkommt. Der Wert des Buches liegt damit ausschließlich in den Passagen direkter oder indirekter Rede, die Kohl eindeutig zugeschrieben werden können. Der "O-Ton" Kohls gibt Einblicke in die Motive, Überlegungen und Stimmungen des Kanzlers. Darin wird auch deutlich, daß er seine politische Kraft nicht aus konzeptionellen und analytischen Überlegungen herleitet, sondern aus pragmatischen Motiven, historischen Analogien, einfachen und klaren Grundüberzeugungen, persönlichen Beziehungen und politischen Instinkten. In Kombination mit der analytischen, konzeptionellen und diplomatischen Detailarbeit der Regierung konnten diese politischen Wesensmerkmale Kohls bei der Herstellung der deutschen Einheit erhebliches Gewicht entwickeln. Kohls Schilderungen der Begegnungen mit Staats- und Regierungschefs zeigen, daß sein Streben nach einem persönlichem Verhältnis zu anderen Entscheidungsträgern auch bei der Herstellung der deutschen Einheit zuweilen willensverändernde Wirkung hatte. Diese Persönlichkeitsmerkmale Kohls haben zweifellos den großen Einfluß des deutschen Bundeskanzlers in der Außenpolitik erhöht.
Michael Broer (MB)
Dr., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.3134.212.3 Empfohlene Zitierweise: Michael Broer, Rezension zu: Helmut Kohl: "Ich wollte Deutschlands Einheit" Berlin: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/1589-ich-wollte-deutschlands-einheit_1807, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 1807 Rezension drucken
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