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/ 18.06.2013
Alison Des Forges

Kein Zeuge darf überleben. Der Genozid in Ruanda. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bauer, Fee Engemann, Renate Hardt, Edith Nerke, Carmen von Samson-Himmelstjerna und Gisela Schwarz

Hamburg: Hamburger Edition 2002; 947 S.; geb., 40,- €; ISBN 3-930908-80-8
Dies ist ein schockierendes und wichtiges Buch. Des Forges hat im Namen von Human Rights Watch und der Fédération Internationale des Ligues des Droits de L'Homme den Genozid in Ruanda, dem 1994 innerhalb vor nur wenigen Wochen mindestens eine halbe Million Menschen zum Opfer fielen, rekonstruiert. Schätzungsweise drei Viertel der im Land lebenden Tutsi wurden ausgerottet. Im Zentrum der Darstellung stehen eine Vielzahl von Interviews mit Überlebenden der Massaker - Opfern und Tätern. Dazu kommt die gewissenhafte Auswertung umfangreicher offizieller und auch bislang unveröffentlichter Quellen. Einige Dokumente werden im Original abgedruckt, so etwa Eintragungen aus dem Terminkalender von Hauptmann Théoneste Bagosora (143), einem der führenden Köpfe der Organisation des Völkermordes. Deutlich wird, wie gesteuert und geplant die Gräuel vonstatten gingen. Besondere Bedeutung kam dabei unter anderem dem Radiosender Radio Télévision Libre des Mille Collines zu. Die massenhafte Aufstachelung zum Mord baute dabei perfiderweise auf der Pervertierung des traditionellen „Umuganda" (25), der obligatorischen Arbeit für das Gemeinwohl, auf. Das Töten wurde als „Arbeit", die Waffen als „Werkzeuge", die Motivation als „Selbstverteidigung" dargestellt: „[D]er Völkermord war beileibe kein unkontrollierbarer Ausbruch der Wut eines von ‚althergebrachtem Stammeshass'" erfüllten Volkes. Genauso wenig war er die vorhersehbare Folge durch Armut und Überbevölkerung entfesselter Kräfte. Der Völkermord war das Ergebnis einer bewussten Entscheidung, getroffen von einer modernen Elite, die sich durch Verbreitung von Hass und Angst den Machterhalt zu sichern suchte." (16) Des Forges macht auch die Alternative deutlich, die nicht nur im Land, sondern auch seitens der internationalen Gemeinschaft möglich gewesen wäre. Die Leugnung des Völkermordes in den entscheidenden Wochen weist auf mehrere Verantwortlichkeiten, so auf „die UN-Mitarbeiter, weil sie versäumt haben, die Mitglieder des Sicherheitsrates entsprechend zu informieren und zu beraten; Belgien, weil es seine Truppen übereilt aus Ruanda zurückgezogen hat und auch für den völligen Rückzug der UN-Truppen eingetreten ist; die USA, weil sie Geld sparen statt Leben retten wollten und die Entsendung von Hilfstruppen verzögert haben; ferner Frankreich, das weiterhin eine Regierung unterstützt hat, die am Völkermord beteiligt war" (36). Inhalt: Der Kontext des Völkermordes; Der Völkermord auf nationaler Ebene; Der Völkermord auf lokaler Ebene: Gikongoro und Butare; Der Völkermord und die internationale Gemeinschaft; Die Beendigung des Völkermordes. Gerechtigkeit und Verantwortung.
Manuel Fröhlich (MF)
Prof. Dr., Juniorprofessur für Politikwissenschaft, Universität Jena (www.manuel-froehlich.de).
Rubrizierung: 2.252.674.42 Empfohlene Zitierweise: Manuel Fröhlich, Rezension zu: Alison Des Forges: Kein Zeuge darf überleben. Hamburg: 2002, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/17539-kein-zeuge-darf-ueberleben_20195, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 20195 Rezension drucken
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