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/ 17.06.2013
Erika Thurner

Nationale Identität und Geschlecht in Österreich nach 1945

Innsbruck/Wien/München: Studien Verlag 2000; 151 S.; 18,92 €; ISBN 3-7065-1423-0
Der schmale Band beabsichtigt, das Thema Frauen in die Nationalismusforschung einzubringen, und basiert laut Autorin auf der These, "daß staatlich-nationale Politik Geschlechterverhältnisse und Geschlechtscharaktere festlegt und mitformt" (14). Der größere Teil der Untersuchung scheint hingegen die schwächere These zu belegen, dass die verschiedenen Geschlechter ganz unterschiedlich, und zwar unabhängig von den tatsächlichen Leistungen, im öffentlichen nationalen Bewusstsein bedacht werden. Untersuchungsgegenstand sind zunächst weibliche Intellektuelle (dabei wird die selbstgesetzte zeitliche Beschränkung auf Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht eingehalten [siehe z. B. 25]) und Frauen im Wiederaufbau (mit besonderer Berücksichtigung der nationalen Ausgrenzung österreichischer Frauen mit intimen Beziehungen zu Besatzern). Es folgt die Darstellung des langen Weges der Entwicklung der Rolle der Frau von der reinen "Mutterschaft zwecks Rettung des 'bedrohten Volksbestandes'" (74) bis zur aktiven Politikerin, Soldatin und sogar Sportheldin. Ein grundlegender Befund, der allerdings in sich problematisch und damit erläuterungsbedürftig wäre, soll hier versuchsweise formuliert werden: Frauen wird die Rolle zugeschrieben, die für die jeweilige weitere nationale Entwicklung (soweit möglich: bei männlicher Dominanz) nützlich ist. Daran schließt die Feststellung an, dass der Beitrag der Frauen zum "nationalen Erfolg" erst allmählich annähernd angemessen in Bildern der nationalen Identität auftaucht. Doch das ist heute zunehmend der Fall, wie die Autorin selbst zeigt. In welchem Verhältnis die starke These zu diesem (oder einem anderen) Ergebnis steht, bleibt schleierhaft. Und wie ist die Feststellung integrierbar, dass "die Bevölkerungsgruppe der Frauen ein ausgeprägteres Österreich-Bewußtsein als jene der Männer" (12) zeigt? Das Buch hätte ein rekapitulierendes und schlussfolgerndes letztes Kapitel dringend benötigt. Stattdessen referiert die Autorin ein weiteres Beispiel für eine zunehmend geschlechtsneutrale Öffentlichkeit, den Erfolg von Jelineks "Sportstück". Das ist eine begrüßenswerte Entwicklung, liegt allerdings nicht auf einer Linie mit der These der Autorin.
Guido Koch (GK)
Dr., Politikwissenschaftler, Qualitätsmanagment, GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften.
Rubrizierung: 2.272.4 Empfohlene Zitierweise: Guido Koch, Rezension zu: Erika Thurner: Nationale Identität und Geschlecht in Österreich nach 1945 Innsbruck/Wien/München: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/15747-nationale-identitaet-und-geschlecht-in-oesterreich-nach-1945_17963, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 17963 Rezension drucken
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