/ 11.06.2013
Rainer Dombois / Ludger Pries
Neue Arbeitsregimes im Transformationsprozeß Lateinamerikas. Arbeitsbeziehungen zwischen Markt und Staat
Münster: Westfälisches Dampfboot 1999; 357 S.; 48,- DM; ISBN 3-89691-461-8Wie stellen sich die Wandlungsprozesse der Industriellen Beziehungen in Lateinamerika am Ende des 20. Jahrhunderts dar? Eine Antwort darauf geben Dombois/Pries in ihrer Zusammenfassung einer Forschungskooperation mit Experten aus Brasilien, Kolumbien und Mexiko. Sie untersuchten länderspezifisch die industrielle Produktion in den drei Sektoren Automobil-, Textil- und Telekommunikationsindustrie.
Ihre Befunde betten die Autoren in die Betrachtung der Makroebene ein, die sich etwa in einem institutionellen Rahmen oder in der Machtbeziehung zwischen Staat, Unternehmen und Gewerkschaften erkennen läßt. Alle Länderberichte geben Einblicke in die Entstehung der Arbeitsbeziehungen und in ihre landesspezifischen Akteurskonstellationen. Für die qualitative Beurteilung der industriellen Beziehungen ist die Mikroebene der wesentliche Indikator: "Die Tiefe und Reichweite der Veränderungen von Arbeitsbeziehungen im Zuge der ordnungspolitischen Wende lassen sich erst erfassen, wenn auch die betrieblichen Restrukturierungs- und Arbeitspolitiken und die durch sie ausgelösten Konflikt- und Aushandlungsprozesse in den Blick geraten." (303) Auf der Makroebene zeigt sich ein Wandel in der Wirtschaftspolitik in Lateinamerika. Der Trend geht weg von der Importsubvention hin zur Weltmarktintegration, so daß die Unternehmen in einem für sie günstigeren gesellschaftlichen und politischen Klima agieren können. Wer hier jedoch den uneingeschränkten Siegeszug des Neoliberalismus erwartet, wird überrascht. In Brasilien und Mexiko ist die Kontinuität staatlicher Intervention (nicht nur) in den Arbeitsbeziehungen weiterhin groß. In beiden Ländern haben staatskorporative Regime in den Arbeitsbeziehungen eine starke Tradition, deren Wurzeln bis in die 30er und 40er Jahre zurückreichen und auch heute noch auf der Betriebsebene wahrnehmbar sind. Veränderungen der betrieblichen Arbeitsbeziehungen beziehen ihre Impulse aus neuen Ansätzen der Betriebsorganisation, die wiederum eine Reaktion auf die außenwirtschaftliche Öffnung der Märkte darstellen. Nur für Kolumbien läßt sich dies nicht konstatieren. Die Unternehmerschaft ist noch sehr traditionell strukturiert und die gewaltsamen gesellschaftlichen Konflikte überlagern Reformen der Arbeitsbeziehungen. In der Verbindung von Makro- und Mikroebene haben Dombois/Pries die alten und neuen Strukturen der Arbeitsregime in Lateinamerika erkenntnisreich analysiert.
Inhaltsübersicht: I. Transformation und industrielle Beziehungen in Lateinamerika: 1. Erwerbsarbeit und deren Regulierung in der Alten und Neuen Welt; 2. Industrielle Beziehungen und "Regime der Arbeitsregulierung". II. Die leise Revolution Lateinamerikas: 1. Das herkömmliche Entwicklungsmodell: Entwicklungsstaat und "Importsubventionen"; 2. Prinzipien des neuen Entwicklungsmodell in Lateinamerika und ihre Kritiken; 3. Zur Durchsetzung des neoliberalen Modells: Stabilisierung und Strukturanpassung; 4. Die unterschiedlichen Gesichter des Neoliberalismus: Nationale Entwicklungspfade. III. Mexiko: Korporatistische industrielle Beziehungen im Erosionsprozeß politischer Modernisierung: 1. Geschichte und Ausgangsstruktur der industriellen Beziehungen: staatlich gelenkte Wirtschaftsentwicklung und Interessenharmonisierung; 2. Die Textilindustrie: enorme Differenzierungs- und Flexibilisierungsprozesse hinter der Fassade scheinbar unbeweglicher Gewerkschaften und stabiler Branchentarifverträge; 3. Die Automobilindustrie: von einer dualistischen Struktur zur marktvermittelten Homogenisierung der Arbeitsregulierung?; 4. Privatisierung und industrielle Beziehungen: Das Beispiel Telefonos de Mexico; 5. Der Wandel der industriellen Beziehungen in Mexiko: Am Vorabend der Veränderung? IV. Industrielle Beziehungen in Kolumbien - vom Klassenkampf im Betrieb zur neopaternalistischen Produktionsgemeinschaft?: 1. Entstehung und Wandlungsdynamik industrieller Beziehungen; 2. Die Textilindustrie - Apertura als Impuls für neopaternalistische Industrielle Beziehungen; 3. Die Autoindustrie: die Erosion antagonistisch-konfliktiver und die Differenzierung der Arbeitsbeziehung; 4. Privatisierung und Arbeitsbeziehungen: der Fall Telecom de Colombia. V. Brasilien: Vom Korporativismus zur Konzertierung?: 1. Geschichte der Industriellen Beziehungen: vom autoritären staatskorporativistischen zu einem neuen "Hybridsystem"; 2. Die Textilindustrie: Erosion des Bündnisses von Paternalismus und Korporativismus; 3. Die brasilianische Automobilindustrie im Globalisierungsprozeß: Immer noch Vorreiter ausgehandelter und konzertierter Modernisierung?; 4. Privatisierung und Industrielle Beziehungen: Ein Fallbeispiel aus der petrochemischen Industrie; 5. Schlußfolgerung: Industrielle Beziehungen zwischen Korporativismus, collective bargaining und Konzertierung. VI. Industrielle Beziehungen in Lateinamerika - Opfer der neoliberalen Restrukturierung?: 1. Industrielle Beziehungen im Spannungsfeld der "Mikro-Politiken" von Unternehmen und Gewerkschaften; 2. Globalisierung, Privatisierung und Industrielle in der makropolitischen Arena; 3. Industrielle Beziehungen und sozialer Wandel in Lateinamerika.
Wilhelm Johann Siemers (Sie)
Dipl.-Politologe, Journalist, Redakteur der Sprachlernzeitschrift vitamin de, Florenz.
Rubrizierung: 2.65 | 2.22 | 2.262
Empfohlene Zitierweise: Wilhelm Johann Siemers, Rezension zu: Rainer Dombois / Ludger Pries: Neue Arbeitsregimes im Transformationsprozeß Lateinamerikas. Münster: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/10588-neue-arbeitsregimes-im-transformationsprozess-lateinamerikas_12513, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 12513
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Dipl.-Politologe, Journalist, Redakteur der Sprachlernzeitschrift vitamin de, Florenz.
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