/ 08.12.2016
Hubert Seipel
Putin. Innenansichten der Macht
Hamburg: Hoffmann und Campe 2015; 365 S.; 2. Aufl.; geb., 22,- €; ISBN 978-3-455-50303-6Spätestens mit der Ukraine‑Krise wurde in Deutschland eine zunehmende Spaltung zwischen medialer Berichterstattung und politischen Einstellungen in Teilen der Bevölkerung offensichtlich. Die Medienkritik, die bis heute insbesondere von der AfD gewinnbringend betrieben wird, setzte an der Darstellung Russlands, seiner Interessen und des Staatspräsidenten an. Putin sei kein Aggressor, wie es der öffentlich‑rechtliche „Mainstream“ behaupte, sondern handle rational, so der Tenor. Die russische Politik sei eine natürliche Reaktion auf das Expansionsstreben der NATO und ihrer Führungsmacht USA. Wer diese Ansichten, die zu Beginn der Debatte tatsächlich kaum medial präsent waren, teilt, findet an dem Buch von Hubert Seipel sicherlich Gefallen. Es handelt sich um keine Biografie im klassischen Sinne. Der Journalist stellt Putins Leben im Kontext der jüngeren politischen Ereignisse dar, um die Motivlage des seines Erachtens fälschlicherweise Dämonisierten verständlich zu machen. Thematisiert werden durchaus berechtigte Kritikpunkte an der Einseitigkeit vorherrschender Sichtweisen über das russische Expansionsstreben im Allgemeinen und die Person Putin im Speziellen, und zwar anhand konkreter Ereignisse, etwa dem MH17‑Abschuss, der russischen Protestbewegung von 2012, dem Pussy‑Riot‑Prozess, der Ukraine‑Krise und der Annexion der Krim. Dabei berichtet Seipel ausführlich von seinen verschiedenen Begegnungen mit Putin, der in der Gesamtschau des Autors zwar nicht glorifiziert, aber als menschlich durchaus integer und politisch rational handelnd beschrieben wird. Kritische Aspekte, zum Beispiel in der Tschetschenien‑Politik, werden zwar benannt, aber nicht so extensiv ausgeführt wie Ansatzpunkte für eine positive Sichtweise, die Putin als Kraft gegen das Oligarchentum, den Islamismus und die geopolitisch‑imperiale Dominanz der USA ausweisen. Insofern ist dieses Portrait, dessen Bewertungen eher implizit aus der Gewichtung der dargestellten Sachverhalte resultieren, einseitig. Trotzdem ist Seipel ein durchaus lesenswertes Buch gelungen. In einem flüssigen Stil und ohne das Pathos der radikalen „Putinversteher“ präsentiert er eine alternative Sichtweise, die Berücksichtigung in der Debatte verdient hat. Den Rezensenten überzeugt der Grundtenor Seipels gleichwohl nicht. Zu schwer wiegt die unmenschliche, internationale Kooperation mit Füßen tretende Kaltschnäuzigkeit Putins, als dass sie mit berechtigten Verweisen auf die Verfehlungen des Westens und das Unwesen der ukrainischen beziehungsweise russischen Kleptokratie (zu deren Protagonisten mitunter auch jene gehören, die hierzulande nicht selten unter den Begriffen „Opposition“ oder „Pro‑Westliche‑Kräfte“ firmieren) zu relativieren wäre.
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Rubrizierung: 2.62 | 4.22 | 2.22 | 2.24 | 4.41 Empfohlene Zitierweise: Markus Linden, Rezension zu: Hubert Seipel: Putin. Hamburg: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/40178-putin_47889, veröffentlicht am 08.12.2016. Buch-Nr.: 47889 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA