/ 03.03.2016
Dorothee Liehr (Hrsg.)
Skandal und Nation. Politische Deutungskämpfe in der Schweiz 1988-1991
Marburg: Tectum Verlag 2014; IX, 640 S.; 49,95 €; ISBN 978-3-8288-3352-4Diss. Zürich; Begutachtung: J. Tanner, I. Gilcher‑Holtey. – Der „Fall Kopp“ und der „Fichen‑Skandal“ bewegten in den späten 1980er‑ und frühen 1990er‑Jahre die schweizerische Öffentlichkeit. Bei dem „Fall Kopp“ ging es um das problematische Verhalten der ersten Bundesrätin Elisabeth Kopp. Diese informierte die Öffentlichkeit nicht über ein brisantes Telefonat mit ihrem Ehemann, worin sie diesen bat, aus dem Verwaltungsrat eines Finanzinstituts auszutreten, da wegen des Vorwurfs der Geldwäsche ermittelt wurde. Der „Fichen‑Skandal“ steht mit dem „Fall Kopp“ in engem Zusammenhang, denn infolge des Kopp‑Vorfalls wurde eine Parlamentarische Untersuchungskommission gebildet, was schließlich zur Aufdeckung der jahrelangen Überwachung vieler Schweizer_innen, vor allem aus dem linken und alternativen Milieu, und Ausländer_innen führte, was als „Fichen‑Skandal“ bekannt wurde. Beide Ereignisse standen im Kontext der weltpolitischen Umbrüche infolge des Zusammenbruchs des Ostblocks und weiterer innenpolitischer, die Öffentlichkeit erhitzende Themen, wie die Abstimmung über die Armeeabschaffung. In dieser Zeit drangen zunehmend links‑alternative Gruppierungen auf die politische Bühne, wo sie dem rechts‑bürgerlichen Lager gegenüberstanden. Ziel der Autorin ist es, die zwei Skandale in diesem Zusammenhang näher zu untersuchen und mithilfe einer detaillierten Konstellationsanalyse die komplexen Deutungskämpfe aufzuzeigen. Dabei geht es auch um die Frage nach der gesellschaftspolitischen und nationalen Bedeutung beider Skandale im Vergleich zueinander. Hatte bereits der „Fall Kopp“ das Vertrauen in bestimmte staatliche Institutionen erschüttert und zu einer nationalen Orientierungskrise geführt, schien sich dies durch den „Fichen‑Skandal“ noch zu verstärken, wie die Autorin zeigt. Ausgehend vom „Fichen‑Skandal“ habe sich 1990 eine außerparlamentarische Protestbewegung, vornehmlich aus dem links‑alternativen Spektrum, gebildet, die sich vor allem in Bezug auf die für 1991 geplanten Nationalfeierlichkeiten voll entfaltete. Liehr kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass der „Fichen‑Skandal“ gesellschaftspolitisch eine gewichtigere Dimension hatte als die Skandalisierung des Elisabeth Koop vorgeworfenen Verhaltens. Sie begründet das vor allem damit, dass der „Fichen‑Skandal“ einen gesellschaftspolitischen Erkenntnisprozess ausgelöst und zu einer Selbstkorrektur des politischen Systems beigetragen habe.
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Rubrizierung: 2.5 Empfohlene Zitierweise: Jessica Burmester, Rezension zu: Dorothee Liehr (Hrsg.): Skandal und Nation. Marburg: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/39472-skandal-und-nation_47459, veröffentlicht am 03.03.2016. Buch-Nr.: 47459 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA