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/ 14.08.2014
Detlef Horster / Franziska Martinsen (Hrsg.)

Verbotene Liebe? Zum Verhältnis von Wirtschaft und Politik

Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2014 (Hannah-Arendt-Lectures und Hannah-Arendt-Tage 2013); 118 S.; 12,80 €; ISBN 978-3-942393-88-1
In den Hannah‑Arendt‑Lectures 2013 wurde die Frage nach „einem angemessenen und legitimen Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft in unserer heutigen Zeit“ (7) gestellt. Die Vortragenden vertraten dabei unterschiedliche Disziplinen und Professionen und so weisen die Aufsätze eine ganz unterschiedliche Qualität und (theoretische) Tiefenschärfe auf. Besondere Lesefreude bereiten die Beiträge von Armin Nassehi, Bernhard Emunds und Birger P. Priddat. Der Beitrag von Sabine Berghahn zur Frauenquote in Aufsichtsräten wirkt hingegen mit Blick auf die übergeordnete Fragestellung leider recht bemüht. Dass er durch seine Stellung am Anfang des Bandes solch ein Gewicht erhält, ist misslich. Umso anregender sind die Überlegungen von Nassehi, der auf die „Gleichzeitigkeit von Unterschiedlichem“ (39) hinweist und damit dem allgemeinen Lamento einer alle Lebensbereiche dominierenden Ökonomisierung das Wort redet. Ausgangspunkt dafür bilden einige systemtheoretisch inspirierte Hinweise zu den beiden Medien „Kommunikation“ und „Geld“. So sei das Geld „nie in der Lage“ gewesen, „gesellschaftliche Probleme zu lösen“ (40) und der „Markt der Ökonomie“ an sich stelle zunächst nur ein „operativ geschlossenes System von Zahlungen“ dar. Das Entscheidende sei jedoch, dass hinter diesen Zahlungen Gründe stünden, die – wie bereits Luhmann festgestellt habe – „in die Umwelt des Systems verweisen“ (41). Mit dieser Beobachtung gelingt es Nassehi, den Faktor Mensch im Marktgeschehen zu verorten. Das eigentliche Problem der gegenwärtigen Marktordnung macht er in einer ungeheuren „Optionssteigerung“ (47) aus, die sowohl im politischen als auch im ökonomischen System zu beobachten sei und zu einer systemischen Selbstgefährdung führe, da „Stoppregeln“ (44) fehlten. Emunds hingegen stellt die „Geschäftstätigkeit der Finanzinstitute“ (53) in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, deren Legitimität in wohlstandsförderlicher Hinsicht infrage gestellt werden müsse. Dazu ruft er ins Gedächtnis, dass es „nach 1950 über 40 Jahre lang“ keine Wirtschaftskrisen gegeben habe, in denen „das gesamte Finanzsystem eines Industrielandes vor dem Kollaps stand“ (57). Deshalb plädiert er für die Einführung des Trennbankenprinzips. Auch Priddats Krisendeutung enthält einige inspirierende Überlegungen, wenn er zum Beispiel die Finanzmärkte als „ein zweites Evaluationssystem“ (85) für die Politik deutet. Seine Folgerungen sind allerdings aus politikwissenschaftlicher Perspektive abenteuerlich, wenn er dafür plädiert, dass die Bürger unter Außerachtlassung der Politik „die Wirtschaft“ wählen können sollten, „die sie haben wollen“ (88). Darin und in der Äußerung, dass die Wirtschaft „der lernfähigste Teil der Gesellschaft“ (89) sei, kommt leider ein nach wie vor ungebrochener Glauben an die Selbstheilungskräfte des Marktes zum Ausdruck.
Henrik Scheller (HS)
Dr. phil., Dipl.-Politologe, wiss. Mitarbeiter, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl Politik und Regieren in Deutschland und Europa, Universität Potsdam.
Rubrizierung: 2.25.412.364.43 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Detlef Horster / Franziska Martinsen (Hrsg.): Verbotene Liebe? Weilerswist: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/37406-verbotene-liebe_45569, veröffentlicht am 14.08.2014. Buch-Nr.: 45569 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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