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/ 03.06.2013
Veronika Andorfer

Von der Integration zum Empowerment. Zur Frauenförderung in der Entwicklungspolitik

Frankfurt a. M.: IKO-Verlag für Interkulturelle Kommunikation 1995 (Edition Hipparchia); 159 S.; 32,- DM; ISBN 3-88939-605-4
Die Autorin zeichnet die in den siebziger Jahren entstandene Diskussion zum Thema "Frauen und Entwicklung" nach und setzt sich kritisch mit der Frauenförderungspraxis von Entwicklungsorganisationen der Industrieländer auseinander. Zu Beginn der UN-Frauendekade ist unter dem Kürzel "WID" (Women in Development) eine ganze Denkschule der Entwicklungspolitik entstanden, die die Integration von Frauen mit dem Ziel ihrer Statusverbesserung vorsah. Die Autorin analysiert Ansätze, Maßnahmen und die Argumentation des Integrationsansatzes im Kontext der Veränderungen in der entwicklungspolitischen Diskussion und sie zeigt politische Barrieren und methodische Probleme bei der Durchsetzung des Gleichheitsanspruches auf. Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, so die Grundannahme des WID-Ansatzes, sei eine "Abweichung von der generell verbindlichen Norm der 'Gleichheit'" und wurde nicht "als strukturelle Basis des Systems" (14) verstanden. Mit den zahlreich durchgeführten Projekten zur Gesundheitsberatung, Arbeitserleichterung und Einkommensschaffung wurden Frauen als Ressource für einen grundsätzlich nicht hinterfragten Entwicklungsprozeß "nutzbar" gemacht und für die jeweils übergeordneten Entwicklungsziele instrumentalisiert. Die bereits in den achtziger Jahren laut gewordene Kritik an dem Integrationsansatz von sowohl "Nord"-Feministinnen (Subsistenzansatz) als auch "Süd"-Feministinnen (politisches Manifest des internationalen Frauennetzwerkes DAWN) wurde von den WID-Praktikerinnen kaum rezipiert. Die Autorin führt dies u. a. auf die grundsätzliche Trennung zwischen Emanzipation und Entwicklung im WID-Ansatz zurück. Aus diesem Grund sei wohl auch der in der feministischen Sozialwissenschaft vollzogene Paradigmenwechsel von "Frau" zu "Geschlechterverhältnis" mit Verspätung in die entwicklungspolitische Diskussion eingeflossen. Seit Beginn der neunziger Jahre wird nun zunehmend das Kürzel WID durch "GAD" (Gender and Development) abgelöst, neue Instrumente und Maßnahmen zum "gender training" und "gender planning" wurden entwickelt und die ursprünglich von Süd-Feministinnen formulierte Strategie des "Empowerment" breitet sich als "neues Modewort" in der Frauenförderungspraxis aus. Die Autorin fragt, ob es sich hierbei nur um einen neuen Begriff für eine alte Entwicklungspolitik handelt oder ob "Empowerment" tatsächlich als neue Strategie im Sinne einer "Veränderung der Machtverhältnisse auf allen gesellschaftlichen Ebenen, einschließlich der Verfügung und Kontrolle über Ressourcen" (55) gemeint ist. Am Beispiel eines Regionalentwicklungsprojektes in Tansania arbeitet Andorfer die Unterschiede zwischen dem Süd-Empowerment-Ansatz und dem Nord-Empowerment-Ansatz heraus, indem sie auf den jeweils zugrundeliegenden Machtbegriff (Anlehnung an Hobbes im "Nord"-Ansatz, an Machiavelli im "Süd"-Ansatz), den methodischen Zugang und die daraus folgenden Maßnahmen eingeht. Die Autorin sieht in dem neuen GAD-Ansatz der Entwicklungsorganisationen eine Fortführung der WID-Strategie, die sich ausschließlich auf die Veränderung der Geschlechterverhältnisse konzentriert, Unterdrückungsmechanismen aufgrund von Klasse, Ethnie und Nord-Süd-Verhältnis hingegen weiterhin ausblendet. Die neu entwickelten gender planning- und gender training-Instrumente vermitteln zudem den Eindruck, "als wäre die Unterdrückung der Frauen auf Unwissenheit zurückzuführen und daß Interessen und die Profiteure dieser Unterdrückung dabei völlig aus dem Blickfeld geraten" (132). Insgesamt erweist sich die Arbeit mit ihrer klaren und anschaulich vermittelten Analyse und der daraus formulierten Kritik als Herausforderung an die Entwicklungsorganisationen, die Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit ihrer "Empowerment"-Konzeption zu hinterfragen.
Anke Rösener (AR)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 4.442.272.67 Empfohlene Zitierweise: Anke Rösener, Rezension zu: Veronika Andorfer: Von der Integration zum Empowerment. Frankfurt a. M.: 1995, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/1394-von-der-integration-zum-empowerment_1569, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 1569 Rezension drucken
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