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/ 16.07.2015
Susanne Muhle

Auftrag: Menschenraub. Entführungen von Westberlinern und Bundesbürgern durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015 (Analysen und Dokumente 42); 670 S.; 49,99 €; ISBN 978-3-525-35116-1
Diss. Münster; Begutachtung: H.‑U. Thamer, T. Großbölting. – Den düsteren Kapiteln der DDR‑Geschichte fügt Susanne Muhle mit dieser Gesamtdarstellung der Entführungen aus dem Westen und/oder Morde (bzw. Mordversuche) durch das Ministerium für Staatssicherheit ein weiteres, besonders dunkles hinzu. Der Schwerpunkt liegt auf den 1950er‑Jahren, also der Konsolidierungsphase des SED‑Regimes, in dem es unter Mithilfe der sowjetischen Besatzungsmacht aggressiv gegen Kritiker und Gegner vorging. Allein zwischen 1950 und 1953 wurden nach Recherchen der Autorin 1.000 deutsche Zivilisten nach Moskau verschleppt und hingerichtet. Ihre Studie bezieht sich auf 400 namentlich erfasste Entführungsopfer aus der Zeit von 1949 bis 1989, von denen die meisten in der DDR inhaftiert wurden. Die Schilderung ausgewählter Schicksale – darunter die Verschleppung und Hinrichtung eines geflohenen Grenzsoldaten, der versuchte, Frau und Tochter in den Westen zu holen – verleihen der Aufarbeitung der Entführungspraxis im ersten Hauptteil die konkrete menschliche Dimension: Mutmaßliche Geheimagenten (was nur auf wenige tatsächlich zutraf), Abtrünnige wie geflohene SED‑Mitglieder und Regimekritiker wurden auf dem Boden der Bundesrepublik und West‑Berlins von einem stalinistisch geprägten Repressionssystem verfolgt, erläutert Muhle, das auch vor gewaltsamen und grenzüberschreitenden Einsätzen nicht haltmachte – galt es doch, jegliche Kritik zu unterdrücken. 24 der durch Täuschung und unter Einsatz von Alkohol und Medikamenten in die DDR verschleppten oder gewaltsam entführten Opfer wurden, in einem widersinnigen Anschein von Rechtsstaatlichkeit, zum Tode verurteilt und hingerichtet, weitere zehn Menschen starben in der Haft durch Krankheit, Selbsttötung oder nach körperlichen Misshandlungen. Im zweiten Teil, in dem diese Schicksale wieder aufgegriffen werden, stehen die Inoffiziellen Mitarbeiter im Mittelpunkt, die das MfS als Entführer anheuerte. Überwiegend waren es junge Männer, die gerne nach dem Schneeballprinzip im kriminellen Milieu West‑Berlins rekrutiert und die bezahlt wurden – nur eine Minderheit der Entführer‑IM war rein ideologisch motiviert. Zu ihrer Einordnung koppelt Muhle biografische Informationen mit der Frage nach den handlungstheoretischen Perspektiven und deckt auf Basis der Akten reichlich Eigeninitiative auf. Die Entführungen, die im Westen für Aufsehen sorgten und entsprechende Strafgesetze nach sich zogen, wurden erst weniger, nachdem der Schaden für den Ruf der DDR unübersehbar wurde und sich das System nach dem Mauerbau zu festigen begann. Muhle nennt aber dennoch weitere Mordanschläge in den 1970er‑ und Anfang der 1980er‑Jahren, die den Unrechtscharakter des Regimes grell ausleuchten.
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Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Susanne Muhle: Auftrag: Menschenraub. Göttingen: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/38640-auftrag-menschenraub_46899, veröffentlicht am 16.07.2015. Buch-Nr.: 46899 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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