/ 02.01.2014
Joachim Käppner
Berthold Beitz. Die Biographie
München/Zürich: Piper 2013; 624 S.; 12,99 €; ISBN 978-3-492-30346-0Die Biografie kann als eine deutsche Alternativgeschichte gelesen werden, entschied sich der im Sommer 2013 verstorbene Berthold Beitz, langjähriger Generalbevollmächtigter von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach und Vorsitzender der nach diesem benannten Stiftung, doch immer wieder anders als die sichtbare Mehrheit der Deutschen. Am eindringlichsten und berührendsten deutlich wird dies im ersten Teil dieser sorgfältig recherchierten und mit Empathie geschriebenen Lebensschilderung: Der junge, frisch verheiratete Beitz, der gerade Vater geworden ist, wird als leitender Angestellter in das besetzte Polen geschickt, um dort die Ausbeutung der Erdölvorkommen zu managen. So wird er unmittelbarer Zeuge des Holocausts, reagiert aber anders als vom NS‑Regime erwartet, so, wie man es eigentlich von jedem zivilisierten Menschen hätte erwarten können: Er beginnt, so viele Juden wie möglich zu ihrem Schutz als für sein Unternehmen unabkömmlich zu deklarieren. Nicht wenige von ihnen kennt er gar nicht persönlich, viele hatten zuvor nicht einmal für ihn gearbeitet; zahlreiche Menschen holt er sogar aus den Zugwaggons heraus, die zur Abfahrt in die Konzentrationslager bereit stehen. Dieser Rettungswiderstand, wie sein Biograf Joachim Käppner es einordnet, wäre ihm fast zum Verhängnis geworden. Aber im Verhörraum der Gestapo trifft er auf einen Schulfreund, der die Briefe mit den Denunziationen ins Feuer wirft und Beitz zurück zu „seinem“ Unternehmen fahren lässt. Beitz selbst hat in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft kein Aufheben um diese Rettung mehrerer hundert Menschen gemacht und erst später sind er und seine Frau von Israel als Gerechte unter den Völkern anerkannt worden. Beitz ist sich, so wird im weiteren Verlauf der Biografie deutlich, auch nach 1945 treu geblieben, hat eher auf den einzelnen Menschen gesehen und weniger auf Strukturen oder Machtapparate – wohl deshalb ist er auch nie einer Partei beigetreten. Als Generalbevollmächtigter des Krupp‑Konzerns sorgte er schon in den 1950er‑Jahren dafür, dass das Unternehmen die während des Krieges eingesetzten Zwangsarbeiter entschädigte. Und bereits in der Adenauer‑Ära pflegte er seine unternehmerischen Kontakte in Osteuropa, vor allem in Polen und später auch in der DDR, und nahm so die Ostpolitik im Ansatz vorweg. Berührungsängste mit den Machthabern hatte er nicht, nutzte seine Beziehungen aber wiederholt, um Ausreisewilligen zu helfen. Bemerkenswert ist auch, dass der Krupp‑Konzern unter seinem Einfluss der Eigentümerfamilie entzogen wurde, der Besitz ging an eine Stiftung über – und nicht an eine Aktiengesellschaft. Die gemeinnützige Stiftung unterstützt nun seit Langem die Völkerverständigung und fördert Projekte in Kultur und Sport.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.3 | 2.312 | 2.313 | 2.315 | 2.35
Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Joachim Käppner: Berthold Beitz. München/Zürich: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/36558-berthold-beitz_44563, veröffentlicht am 02.01.2014.
Buch-Nr.: 44563
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Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
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