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/ 19.06.2013
Armin Nassehi / Gerd Nollmann (Hrsg.)

Bourdieu und Luhmann. Ein Theorienvergleich

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2004 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1696); 272 S.; 12,- €; ISBN 3-518-29296-X
In der akademischen Debatte werden Bourdieu und Luhmann gemeinhin als Antipoden behandelt - und dies nicht nur, weil sich beide (wie man vermuten darf: bewusst) wechselseitig nicht zur Kenntnis nahmen. So verstand sich Bourdieu - auf Basis seiner Theorie sozialer Kämpfe um ökonomisches, soziales, kulturelles und symbolisches Kapital - immer auch als politischer Intellektueller, der explizit gegen herrschende Dogmen (etwa neoliberaler Spielart) Partei ergriff. Dagegen hat Luhmann bekanntlich - ausgehend von der Prämisse einer operativen Autonomie sozialer Systeme - gesellschaftskritische Ansprüche der Sozialwissenschaften stets nur ironisch kommentiert. Und obschon die Herausgeber durchaus einräumen, Luhmann und Bourdieu könnten hinsichtlich „ihres wissenschaftlichen Habitus und ihrer Textsorten kaum unterschiedlicher sein“ (9), sehen sie doch eine interne Verwandtschaft in der formal vergleichbaren Reflexivität der Theoriekonstruktionen. Auch wenn der reflexive Bezug auf die eigene Theoriearbeit jeweils etwas anderes bedeutet - bei Bourdieu wird sie aufgelöst in Praxis, bei Luhmann in Operationen - gemeinsam ist beiden, was die Herausgeber als „Suche nach blinden Flecken und nach den Bedingungen eigener Möglichkeiten“ bezeichnen (10). In dieser sehr abstrakten Entsprechung mag sich überdies mit Blick auf die Ausdifferenzierung der Soziologie auch eine „generationstypisch ähnliche Erfahrung“ ausdrücken (17). Beide haben sich zu der Entwicklung ihres eigenen Ansatzes an prominenten strukturtheoretischen Positionen abgearbeitet, die seinerzeit schulenbildend wirkten - Levi-Strauss (Bourdieu) beziehungsweise Parsons (Luhmann). Die Autorinnen und Autoren wählen eine theorievergleichende Perspektive: einerseits hinsichtlich grundbegrifflicher Fragen (Teil I), andererseits bezüglich eher zeitdiagnostischer Themen (Teil II). Aus dem Inhalt: Armin Nassehi / Gerd Nollmann: Einleitung: Wozu ein Theorienvergleich? (7-22) Erste Abteilung: Theoriekonstruktion und Theorieästhetik Georg Kneer: Differenzierung bei Luhmann und Bourdieu. Ein Theorienvergleich (25-56) Christine Weinbach: ... und gemeinsam zeugen sie geistige Kinder: Erotische Phantasien um Niklas Luhmann und Pierre Bourdieu (57-84) Irmhild Saake: Theorien der Empirie. Zur Spiegelbildlichkeit der Bourdieuschen Theorie der Praxis und der Luhmannschen Systemtheorie (85-117) Gerd Nollmann: Luhmann, Bourdieu und die Soziologie des Sinnverstehens. Zur Theorie und Empirie sozial geregelten Verstehens (118-154) Armin Nassehi: Sozialer Sinn (155-188) Zweite Abteilung: Diagnosen Ursula Pasero: Frauen und Männer im Fadenkreuz von Habitus und funktionaler Differenzierung (191-207) Anja Weiß: Unterschiede, die einen Unterschied machen. Klassenlagen in den Theorien von Pierre Bourdieu und Niklas Luhmann (208-232) Markus Schroer: Zwischen Engagement und Distanzierung. Zeitdiagnose und Kritik bei Pierre Bourdieu und Niklas Luhmann (233-270)
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.465.42 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Armin Nassehi / Gerd Nollmann (Hrsg.): Bourdieu und Luhmann. Frankfurt a. M.: 2004, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/21035-bourdieu-und-luhmann_24544, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 24544 Rezension drucken
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