/ 03.06.2013
Hannah Arendt / Heinrich Blücher
Briefe 1936-1968. Hrsg. und mit einer Einführung von Lotte Köhler
München/Zürich: Piper 1996; 597 S.; Ln., 49,80 DM; ISBN 3-492-03885-9Nach den bisher erschienenen Briefwechseln von Arendt ist jetzt dieses persönlichste Dokument aus dem Nachlaß der berühmten Autorin erschienen, die im Oktober letzten Jahres 90 Jahre alt geworden wäre. Über drei Jahrzehnte sind in dieser Korrespondenz dokumentiert, vom Kennenlernen 1936 bis zur letzten alleinigen Reise Arendts 1968, zwei Jahre vor Blüchers Tod. Sie schrieben sich, wenn sie getrennt waren. So folgen die Briefkapitel auch im Inhaltsverzeichnis den Reisedaten Arendts.
Der Briefwechsel mit ihrem Mann enthüllt in 304 Briefen die im Privaten wachsende Vertrautheit der Liebenden, ob sie über Liebe und Gefühle, über Kunstwerke und Städte, über die Banalität des Alltags oder über Ereignisse der Weltpolitik geschrieben haben. Heimatlos, ungeborgen, verloren sein in der Welt ist immer wieder Thema in Arendts Briefen: "[...] wie mir zumute ist, so in der Welt wie ein verlorengegangenes Rad am Wagen herumzusausen, ohne jegliche Verbindung mit einem Zuhause, mit etwas, worauf Verlaß ist." (200) Fünf Jahre später: "[...] wie ich auf Deinen Brief gewartet habe, kannst Du Dir gar nicht vorstellen. Das ist das Band, das mir immer wieder klarmacht, daß ich nicht verlorengehen kann." (337) Diese verletzbaren, anhänglichen und zärtlichen Seiten Arendts zeigen sich in keinem anderen Dokument. Ihre Scheu vor öffentlicher Exponierung, ihre Vorliebe für ein ins Private zurückgezogenes Leben wird, im Gegensatz zu ihrem öffentlichen Auftreten, hier das erste Mal deutlich: Auf das Angebot Blüchers, doch imaginär neben ihm und seinem besten Freund Platz zu nehmen (41), entgegnet Arendt: "[...] Vertrauen zu haben, so doch nur zu Dir und nur unter 4 Augen. 6 Augen - das ist für mich bereits die Fremde." (45)
Während Arendts Leben und Person durch Biographien, Monographien, Briefwechsel und Interviews weitgehend bekannt und diskutiert sind, liegen über den Menschen, mit dem sie den größten Teil ihres Lebens verbracht hat, kaum Berichte vor. Um trotz fehlender Veröffentlichungen eine Vorstellung seines Denkens zu ermöglichen, das nur unvollständig im Briefwechsel zum Ausdruck kommt, aber für Arendts Entwicklung ihrer Gedanken von großem Einfluß war, wird in dieser Ausgabe seine einzige gedruckte philosophische Rede vorgestellt: "Eine Vorlesung aus dem Common Course" (567-580).
Heinz-Werner Höffken (Hö)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg.
Rubrizierung: 5.4 | 1.3
Empfohlene Zitierweise: Heinz-Werner Höffken, Rezension zu: Hannah Arendt / Heinrich Blücher: Briefe 1936-1968. München/Zürich: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/2276-briefe-1936-1968_2787, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 2787
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg.
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