/ 04.06.2013
Theodor W. Adorno / Alban Berg
Briefwechsel 1925-1935. Hrsg. von Henri Lonitz
Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997 (Theodor W. Adorno: Briefe und Briefwechsel 2); 384 S.; Ln., 56,- DM; ISBN 3-518-58256-9Daß Adorno neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit vor allem am Anfang seiner Laufbahn ebenso ernsthaft an seiner musikalischen Ausbildung arbeitete, ist wohlbekannt. Die Briefe, die er über ein Jahrzehnt hinweg mit seinem Kompositionslehrer und Mentor Alban Berg ausgetauscht hat, zeugen erneut von der Bedeutung der Musik für Adorno. Gleichwohl machen die Briefe auch deutlich, daß er sich der Unterlegenheit gegenüber seinem "Lieben Herrn und Meister" (so durchweg die Anrede) stets bewußt war. Wenn Musik und Soziologie auch nebeneinander plaziert waren, dann steht bei allem Verlangen Adornos doch fest, welche der beiden Begabungen gegenüber den Anforderungen der anderen (und ihrer akademischen Karriere) zurückstehen muß. Als Musikkritiker konnte Adorno beide Seelen in seiner Brust miteinander verknüpfen, und wer sich je durch die Komplexität der musiksoziologischen Schriften Adornos gekämpft hat, wird Bergs Beschwörung vor einem von ihm lebhaft erwarteten Wozzeck-Aufsatz nur zustimmen können: "Aber eine Bitte!! Nicht schwer schreiben! Sie haben gewiß so viel darüber zu sagen, u. ich möchte, daß die, die das lesen werden, das alles von Ihnen erfahren. Das können sie aber nur - da sie ja meist nur Musiker u. Musikliebhaber sind, - und philosophisch ganz ungebildet sind - wenn Sie sich gemeinverständlich ausdrücken. Das wird Ihnen sicher leicht gelingen." (39) Etwas pikiert antwortet Adorno "ich habe mich wirklich bemüht, leicht zu schreiben" (43) - Eitelkeiten, Kränkungen und wortreiche, auch prophylaktische Entschuldigungen nehmen einen gewissen Umfang ein in diesem Briefwechsel. Dafür fehlt ein Bereich fast völlig: Politik. Bedenkt man die Zeitspanne des Briefwechsels, dann ist das Schweigen zu politischen Ereignissen bemerkenswert. Gelegentlich wünscht man sich allerdings umgekehrt auch, daß vor allem Berg noch etwas intensiver geschwiegen hätte: was mag sich wohl Adorno gedacht haben, als er die launig gemeinte Schlußwendung des von Berg in einem abgeschiedenen Winkel Österreichs geschriebenen Briefes vom 3. 12. 1933 las? "Ansonsten verharre ich weiter in meinem selbstgewählten Konzentrationslager, dem einzigen Ort wo ich mich konzentrieren kann." (291) Leider scheint Adorno hierauf nicht weiter eingegangen zu sein. Die Briefe bieten faszinierende Einblicke in die Persönlichkeit des Mitbegründers der Frankfurter Schule. Wer sich für diese interessiert, der wird auch in einem so unpolitischen Text seine Funde machen.
Michael Dreyer (MD)
Prof. Dr., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.46
Empfohlene Zitierweise: Michael Dreyer, Rezension zu: Theodor W. Adorno / Alban Berg: Briefwechsel 1925-1935. Frankfurt a. M.: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/4173-briefwechsel-1925-1935_5886, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 5886
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Prof. Dr., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
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