/ 10.07.2013
Heinz Bude / Joachim Fischer / Bernd Kauffmann (Hrsg.)
Bürgerlichkeit ohne Bürgertum. In welchem Land leben wir?
München: Wilhelm Fink Verlag 2010; 231 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-7705-4627-5Die seit Längerem – überwiegend in Feuilletons – geführte Diskussion über eine Rückkehr der Bürgerlichkeit beziehungsweise die Etablierung eines neuen Bürgertums ist außerordentlich unübersichtlich, weil sich hier historische, sozialstrukturelle und sozialpsychologische Perspektiven überlagern. Folgt man den Herausgebern, dann haben wir in der Rede über Bürgerlichkeit und Bürgertum „‚die Selbstverständigungsdebatte der Berliner Republik“ (8), gerade weil sich in ihr sehr heterogene Themen bündeln. Dazu zählen die Herausgeber Phänomene wie die faktische oder vermeintliche Transformation der Grünen zur Bürgertumspartei der Großstädte, die Auseinandersetzungen über eine Erosion der Mittelschichten oder die politische Anrufung von Zivilgesellschaft und bürgerschaftlichem Engagement. Ihnen geht es geht es vor allem darum, die Diskussion stärker analytisch zu führen. Der Sammelband basiert auf zwei Veranstaltungen des Jahres 2007: zum einen auf eine von der Stiftung Schloss Neuhardenberg und zum anderen von den Sektionen Soziologische Theorie und Kultursoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie ausgerichteten Tagungen. Die Beitragsautoren befassen sich in der Hauptsache mit zwei Fragen: Bei der ersten geht es – mit Blick auf Strukturen, Akteure und Mentalitäten – um eine Klärung der Merkmale von Bürgerlichkeit. Die zweite Frage bezieht sich auf die Bedeutung von Bürgerlichkeit im Kontext gesellschaftlicher Modernisierung: Handelt es sich letztlich um „vagabundierende und kulturell wiederbelebbare Habitus‑ und Mentalitätsformen, die aber auf keinen sozialstrukturell bestimmbaren Träger, keine sozioökonomische Klassenlage mehr verweisen?“ (15) In der Tendenz legen die soziologischen Beiträge – und sie vor allem machen den Band lesenswert – diese Lesart nahe. So zeigt Karl‑Siegbert Rehberg plausibel das Verblassen ständisch‑demonstrativer Distinktionsregeln, Hans‑Peter Müller stellt den Widerspruch von Individualisierungsverpflichtung – wenn diese denn mit bürgerlichem Einstellungen in Verbindung gebracht wird – und der Zunahme von Ressourcenungleichheit heraus und Andreas Reckwitz analysiert den hybriden Charakter des bürgerlichen Habitus, der zwischen Ästhetisierung und Vermarktlichung des Selbst changiert.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.35 | 5.42 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Heinz Bude / Joachim Fischer / Bernd Kauffmann (Hrsg.): Bürgerlichkeit ohne Bürgertum. München: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/35926-buergerlichkeit-ohne-buergertum_40242, veröffentlicht am 14.07.2013. Buch-Nr.: 40242 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenDr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
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