/ 05.06.2013
Jon Lee Anderson
Che. Die Biographie
München: Econ & List Taschenbuch Verlag 1999; 732 S.; 19,90 DM; ISBN 3-612-26565-2Biographien sind für die Politikwissenschaft keine einfache Gattung, denn sie werfen immer die grundsätzliche Frage nach dem Erkenntnisnutzen auf. Gelingt es dem Autor, die zu porträtierende Person im Kontext des historisch-politischen Zusammenhangs darzustellen und darüber hinaus nachzuweisen, daß eine bestimmte Politik zu großen Teilen das Ergebnis der persönlichen Prädisposition des Protagonisten war? Oder aber erschöpft sich die Biographie in der chronologischen, häufig anekdotenhaften Darstellung des zu Untersuchenden? Diesen Fragen muß sich auch das vorliegende Buch stellen, bei dem es sich um die Taschenbuchausgabe der bereits 1997 im List-Verlag erschienenen Che-Biographie des amerikanischen Journalisten Anderson handelt. Um es kurz zu machen: Der Autor hat keine politische Biographie Ernesto Che Guevaras geschrieben, aus der der Leser Auskunft darüber erhielte, in welchem Maße und in welchen Facetten die Person Che die politische Geschichte Kubas seit der Revolution bestimmt hat. Auch zeigt er den Revolutionsführer nicht als einen idealtypischen Vertreter der Entkolonialisierungs- und Befreiungsbewegungen der 60er Jahre in Afrika, Lateinamerika und Asien. Statt dessen hält er sich lediglich an den Menschen Che Guevara: "Wer war dieser Mann, der mit sechsunddreißig Jahren seine Frau und fünf Kinder verließ, auf seine Ehrenbürgerschaft, seinen Ministerposten und seinen Rang als Militärbefehlshaber im revolutionären Kuba verzichtete, weil er hoffte, eine Revolution auf dem ganzen Kontinent in Gang zu setzen? Was trieb diesen Sohn einer aristokratischen argentinischen Familie, diesen Doktor der Medizin dazu, die Welt verändern zu wollen?" (10) Auf Grund dieser Fragen hat Anderson eine detaillierte und für den Laien aufschlußreiche Biographie Che Guevaras vorgelegt, die jedoch für die Politikwissenschaft nur begrenzt zu gebrauchen ist. Denn zu sehr chronologisch arbeitet er Lebensphasen seines Protagonisten ab, zu wenig fragt er nach inneren wie äußeren Verbindungslinien und vergißt über der Person die Einbettung Che Guevaras in das politische System des post-revolutionären Kubas. Hier hätte sich die Frage nach seinen Handlungsspielräumen, aber auch nach den Grenzen seiner Wirkmöglichkeiten als Leitfrage der Biographie angeboten.
Inhaltsübersicht: I. Unruhige Jugend: 1. Eine Mate-Pflanzung in Misiones; 2. Das trockene Klima von Alta Gracia; 3. Ein Junge mit vielen Namen; 4. Auf eigenen Beinen; 5. Flucht in den Norden; 6. "Ich bin nicht mehr derselbe wie zuvor"; 7. "Weder Ruhm noch Schande"; 8. "Mein Proletarierleben"; 9. "Die heilige Flamme in mir". II. Der Revolutionär: 10. Das Desaster der Landung; 11. Regen und Bomben; 12. Magere Zeiten; 13. Überall lauern Feinde; 14. Die Ausweitung des Krieges; 15. Die Schlußoffensive. III. Der neue Mensch: 16. Der Chefankläger; 17. "Meine historische Pflicht"; 18. "Der Individualismus muß verschwinden"; 19. Im Schatten der Atomwaffen; 20. Prüfstein Guerilla; 21. Der lange Abschied; 22. Die Geschichte eines Scheiterns; 23. Es gibt kein Zurück; 24. Ein notwendiges Opfer.
Markus Kaim (MK)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Forschungsgruppe "Sicherheitspolitik", Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Berlin.
Rubrizierung: 2.65 | 2.24 | 2.1
Empfohlene Zitierweise: Markus Kaim, Rezension zu: Jon Lee Anderson: Che. München: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/6619-che_8943, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 8943
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Forschungsgruppe "Sicherheitspolitik", Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Berlin.
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