/ 04.06.2013
John Charmley
Churchill. Das Ende einer Legende. Aus dem Englischen von Klaus-Peter Schmitz
Berlin: Ullstein 1997; 706 S.; 34,90 DM; ISBN 3-548-26502-2Churchill ist für Charmley der Inbegriff eines Berufspolitikers ohne eigene Überzeugungen. Das Bild Churchills wurde vor allem durch seine Zeit als Premierminister während des Zweiten Weltkrieges geprägt. Er zeigte hier in Vollendung, was er schon unter der Regierung Asquith vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt hatte: Politiker zu sein ohne sonderlich ausgeprägte Prinzipien - daher sein Parteiwechsel von den Konservativen zu den Liberalen, und später auch wieder zurück -, der einerseits eine ungeheure Energie fand, sich in die verschiedensten Ministerien einzuarbeiten, aber andererseits dabei den Blick für andere Problembereiche verlor. Zwar sprach er sich beispielsweise als Innenminister gegen ein wachsendes Flottenbauprogramm aus, propagandierte aber als Erster Lord der Admiralität gerade für den Bau weiterer Dreadnoughts. Charmley versucht, das Motivationsmuster Churchills klar zu strukturieren. Ehrgeizig, egoistisch, literarisch begabt und mit einer gewissen Profilneurose ausgerüstet beginnt Churchill seine politische Karriere Ende des 19. Jahrhunderts, durchläuft Höhen und Tiefen seines Berufes, bis er als Premierminister 1940 - 1945 fast schon zur Legende wird. So klar dies auch sein mag, Charmley verliert bei seinem Versuch, die Legende zu stürzen, jedoch die globale Perspektive: Während er den von Churchill unbedingten Durchhaltewillen vom Sommer 1940 kritisiert, bleibt völlig unbeachtet, was denn tatsächlich geschehen wäre, hätte sich Großbritannien nach den Niederlagen Belgiens, der Niederlande und Frankreichs mit Hitler arrangiert. Hier wird Charmley ein Opfer seines Ansatzes. Churchill konnte sicherlich nicht den Untergang des Empires verhindern, er machte auch später eine Reihe von schwerwiegenden politischen Fehlern gegenüber Stalin, weil er energisch den Sieg über Deutschland verfolgte, aber Charmley fragt nicht, welchen politischen Tribut Großbritannien bei einem Verhandlungsfrieden mit Hitler hätte zahlen müssen. Insofern stellt sich die Frage nicht, ob Churchill letztendlich erfolgreich war oder versagte, sondern es zeigt sich doch wohl eher, daß Churchill bei all seinen persönlichen und politischen Fehlern 1940 bis 1945 der richtige Mann am richtigen Ort gewesen ist.
Axel Gablik (AG)
Dr., Historiker.
Rubrizierung: 2.61 | 2.1
Empfohlene Zitierweise: Axel Gablik, Rezension zu: John Charmley: Churchill. Berlin: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/3704-churchill_4957, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 4957
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Dr., Historiker.
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