/ 10.12.2015
Alvin H. Rosenfeld
Das Ende des Holocaust. Übersetzt von Manford Hanowell
Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2015; 273 S.; 39,99 €; ISBN 978-3-525-54042-8„Das Ende des Holocaust“ sieht Alvin H. Rosenfeld, Professor an der Indiana University Bloomington, nicht gekommen durch das Ableben der letzten Überlebenden, die Zeugnis ablegen konnten. Am Anfang dieses Endes steht vielmehr eine Umdeutung, an der die US‑amerikanische Kultur seiner Beobachtung nach einen bedeutenden Anteil hat. Rosenfeld illustriert dies am hierfür herausragendsten Beispiel, dem Tagebuch der Anne Frank. Das Mitfühlen breiter Leserkreise mit den Opfern des Holocaust konnte sich durch dieses Tagebuch auf ein junges Mädchen konzentrieren, das in einem Versteck lebte – ihr weiteres Schicksal und ihr Tod im Konzentrationslager Bergen‑Belsen blieben dabei verborgen, hatte sie selbst doch keine Gelegenheit mehr zu berichten. Rosenfeld zeigt insbesondere an der Bühnenfassung des Tagesbuchs von Frances Goodrich und Albert Hackett (1955) und am Beispiel des Films „Schindlers Liste“ (1993), wie in der (weltweit wirksamen) US‑amerikanischen Populärkultur – entlang ihrer eigenen Spielregeln – nach Wegen gesucht wird, „ein Geschehen von unerträglichem Leid mit positiven Bildern der Hoffnung ‚auszugleichen‘“ (91). Wie sehr damit die Vergangenheit manipuliert wird, veranschaulicht Rosenfeld anhand der von Überlebenden geschaffenen Literatur – von Jean Améry und Primo Levi, die an der Ignoranz der (deutschen) Allgemeinheit gegenüber dem Leiden der Holocaust‑Opfer verzweifelten, und von Elie Wiesel und Imre Kertész, die das Überleben überlebten, wie er schreibt, und darauf beharren, gehört werden zu müssen. Ihre Werke, von Rosenfeld sensibel ausgelotet, zeigen – im scharfen Kontrast zur Rezeption des Tagesbuchs von Anne Frank – die eigentliche Unmöglichkeit, die Vergangenheit (neu) zu deuten oder ihr gar einen neuen Fluchtpunkt zu geben: „‚Nichts ist seit Auschwitz geschehen, was Auschwitz ungeschehen machen oder entkräften könnte‘“ (Kertész, 207 f.). Auschwitz steht dabei für die Unvergänglichkeit des Schmerzes von Menschen, die von den Nationalsozialisten intellektuell unterdrückt, der Autonomie ihres Körpers beraubt, der Folter unterworfen und zur Heimatlosigkeit verurteilt wurden; Rosenfeld greift für den daraus folgenden Zustand der Überlebenden den Begriff „‚Tod‑Leben‘“ (149) auf. Anstatt nun aber, dass dieser Schmerz anerkannt und als Warnung für die Zukunft begriffen werde, so die Sorge des Autors, werde der Holocaust in einen allgemeinen Mythos aufgelöst und damit seines Schreckens beraubt. Damit aber sei zu befürchten, dass dieses Bollwerk gegen den Antisemitismus an Überzeugungskraft verliere. In der letzten Konsequenz sei Israel in seiner Existenz bedroht.
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Rubrizierung: 2.23 | 2.312 | 2.61 | 2.64 | 4.1 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Alvin H. Rosenfeld: Das Ende des Holocaust. Göttingen u. a.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/39177-das-ende-des-holocaust_47480, veröffentlicht am 10.12.2015. Buch-Nr.: 47480 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA