/ 22.06.2013
Claus Thomasberger
Das neoliberale Credo. Ursprünge, Entwicklung, Kritik
Marburg: Metropolis-Verlag 2012; 223 S.; 26,80 €; ISBN 978-3-89518-933-3Weshalb ist es in den vergangenen Jahren trotz der allseitig beklagten Finanz‑ und Wirtschaftskrise zu keiner Reform des Finanz‑ und Bankensystems gekommen und wieso erscheint entgegen der Versicherung, der Staat müsse verstärkt eingreifen, dieser als politisch Getriebener und nicht als Gestalter einer verantwortungsbewussteren, wenn nicht gar gerechteren Wirtschaftsordnung? Die Erklärung ist offenbar im vorherrschenden Neoliberalismus zu suchen, dessen Stärke in seinem Credo liegt, die Welt nüchtern und antiideologisch zu sehen, weshalb an dieser vor sich hergetragenen Sachlichkeit nicht nur jegliche normative Kritik abperlt, sondern er für sich selbst auch den Nimbus der Alternativlosigkeit zu beanspruchen glaubt. Aus diesem Grund reicht es auch nicht aus, Neoliberale als bloße Ideologen bestimmter Eliten zu verstehen, sondern sie müssen als zweifellos uneinheitliche Theoretiker ernst genommen werden. Nach einer kurzen Skizze über den klassischen Liberalismus stellt Claus Thomasberger seine zentrale These vor: Der Neoliberalismus verheddert sich in ein Paradoxon, indem er einerseits behauptet, dass jede wissenschaftlich‑objektive Planbarkeit von Wirtschaft unmöglich sei, andererseits aber selbst auf eine solche rekurriert, wenn er die eigenen wirtschaftspolitischen Forderungen explizit (natur)wissenschaftlich zu begründen versucht. Damit muss sich aber der Neoliberalismus eher an seinen eigenen Prämissen denn an der empirischen Erkenntnis sozialer Tatsachen orientieren, womit der Neoliberalismus zwangsläufig gegen sein eigenes Credo verstoßen muss. Dieser Widerspruch, der – dies sei am Rande bemerkt – das ambivalente Freiheits‑ und Rationalitätsverständnis vieler neoliberaler Autoren offenbart, wird im zweiten Teil des Buches anhand zentraler Autoren – Walter Lippmann, Ludwig Mises, Friedrich Hayek, Karl Popper und Milton Friedman – überzeugend ausgeführt. Indem Thomasberger dem (neo)liberalen Glauben an ökonomische Gesetzmäßigkeiten eine Absage erteilt, wird dann auch die im letzten Abschnitt etwas pathetisch formulierte politische Pointe deutlich: „Das größte Hindernis, das einer Lösung der gesellschaftlichen Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind [...], im Wege steht, ist das neoliberale Credo selbst. Der Glaube an die unverzichtbare Rolle des Marktsystems ist die Täuschung, aus der das Gefängnis gebaut ist, in dem wir uns selbst gefangen halten.“ (210 f.)
Frank Schale (FS)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 2.22 | 5.43
Empfohlene Zitierweise: Frank Schale, Rezension zu: Claus Thomasberger: Das neoliberale Credo. Marburg: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/35736-das-neoliberale-credo_43301, veröffentlicht am 13.02.2013.
Buch-Nr.: 43301
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Chemnitz.
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