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/ 22.06.2013
Giorgio Agamben

Das Sakrament der Sprache. Eine Archäologie des Eides. Homo sacer II.3. Aus dem Italienischen von Stefanie Günthner

Berlin: Suhrkamp 2010 (edition suhrkamp 2606); 98 S.; 10,- €; ISBN 978-3518-12606-6
Die Institution des Eides wird üblicherweise als sprachlicher Akt beschrieben, der entweder – als assertorischer Eid – den Wahrheitsgehalt einer Behauptung oder – als promissorischer Eid – die Glaubwürdigkeit eines künftigen Verhaltens zum Ausdruck bringen soll. Zur Bekräftigung des in dieser Weise Versprochenen dienen oftmals – gerade auch in politischen Zusammenhängen – religiöse Formeln; diese Überlagerung von Politik und Religion greift Agamben mit einer weiteren Studie seines Homo sacer-Projektes auf (siehe auch die Buch-Nr. 9020, 24539, 33890), die als philosophische Archäologie des Eides angelegt ist. Dieser archäologische Ansatz beruht in erster Linie auf einer Interpretation von Texten aus dem griechisch-römischen Bereich (Philon: Legum allegoriae; Cicero: De officiis). Agamben rückt, ausgehend von der „Natur des Menschen als sprechende[m] Wesen“, seine Deutungen in eine anthropologische Perspektive, die zeigen möchte, dass der Eid weder ausschließlich rechtlichen noch ausschließlich religiösen Charakters ist. Dem Eid – so das zentrale Argument – liegt vielmehr die performative Fähigkeit der menschlichen Gattung zugrunde, sich sprechend und versprechend auf die eigenen Handlungen beziehen zu können. Als „Sakrament der Macht“ (85) kann der Eid nur deshalb fungieren, weil die Sprache gleichermaßen die Möglichkeit der Wahrheit wie die Möglichkeit der Lüge eröffnet. So verstanden sind Recht und Religion als Regulierungen menschlicher Gesellschaften der ursprünglichen „performative[n] Erfahrung des Wortes“ genealogisch nachgeordnet. Auf Basis dieser Deutung entwirft Agamben die radikale zeitdiagnostische These, in der modernen Gesellschaft werde die ethische Verbindung von Worten, Dingen und menschlichen Handlungen mehr und mehr zerbrochen. Und das bedeute: Wir erleben „eine spektakuläre, noch nie dagewesene Wucherung des leeren Wortes einerseits und andererseits eine Wucherung gesetzlicher Regelungen, die beharrlich versuchen, jeden Aspekt jenes Lebens, auf das sie anscheinend keinerlei Zugriff mehr haben, zu verrechtlichen“ (89).
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Giorgio Agamben: Das Sakrament der Sprache. Berlin: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/32905-das-sakrament-der-sprache_39303, veröffentlicht am 17.03.2011. Buch-Nr.: 39303 Rezension drucken
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