/ 21.11.2013
Gerald Wiemers (Hrsg.)
Der Aufstand. Zur Chronik des Generalstreiks 1953 in Workuta, Lager 10, Schacht 29
Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2013; 162 S.; brosch., 24,- €; ISBN 978-3-86583-780-6Bis 1953 wurden Deutsche in der SBZ beziehungsweise DDR im Geheimen verhört, unter Folter zu vermeintlichen Geständnissen gezwungen und ohne faires Verfahren von sowjetischen Militärtribunalen zu Zwangsarbeit, Zuchthaus oder gar zum Tode verurteilt. Mehrere hundert Deutsche wurden in das Gulag‑System in der Sowjetunion deportiert, auch in das Arbeitslager für politische Gefangene in Workuta. Sie waren dort gemeinsam mit einheimischen und anderen Gefangenen aus zahlreichen Ländern Kälte, Hunger, Krankheiten sowie mangelnder Hygiene ausgesetzt. 1953, nach dem Tod Stalins, entschlossen sie sich angesichts dieser unmenschlichen Zustände zu streiken. Als die Inhaftierten von Lager 10, Schacht 29 dem Arbeitsbefehl nach knapp zwei Wochen immer noch trotzten und sich den bewaffneten NKWD‑Angehörigen gegenüberstellten, schossen diese wahllos in die Menge, töteten dabei 64 Inhaftierte und verletzten weitere 123 Menschen. Dieses Buch gibt Auskunft über das von der Öffentlichkeit fast vergessene, aber für die damaligen Häftlinge bis heute traumatische Ereignis, das zweifellos zu den schwärzesten Kapiteln der stalinistischen und poststalinistischen Zeit gehört. Es enthält erstens wichtige Dokumente wie die von Josef R. Ripetzki mitverfasste Eingabe an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der UdSSR, in der die Freilassung aller Häftlinge, die mögliche Rückkehr in die jeweilige Heimat sowie eine garantierte Straflosigkeit für alle am Streik Beteiligten gefordert wurde. Zweitens stellt das Buch historische Analysen wie die von Wladislaw Hedeler bereit, der zwei Versionen desselben Ereignisses – die Darstellung der Häftlinge, laut der sie gewaltlos streikten, und die offizielle Darstellung, laut der ein bewaffneter Aufstand von den Insassen angezettelt wurde – mithilfe von Zeitzeugenerinnerungen und Dokumenten auf ihren Wahrheitsgehalt hin prüft und die weiteren Entwicklungen nach dem Streik der Lagerinsassen rekonstruiert. Drittens kommen Überlebende des Gulag wie Horst Hennig, Werner Gumpel, Heini Fritsche und Horst Schüler zu Wort. Sie geben Zeugnis von den noch immer andauernden Schrecken: „Erinnerungen lieben die Nacht. Dann jagen sie durch unsere Träume, wir können ihnen nicht entfliehen, so verzweifelt wir es auch versuchen. In unseren Nächten begegnen uns die Erschossenen, Erschlagenen, zu Tode Gequälten“ (10).
Ines Weber (IW)
M. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.62 | 2.25 | 2.314
Empfohlene Zitierweise: Ines Weber, Rezension zu: Gerald Wiemers (Hrsg.): Der Aufstand. Leipzig: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/36429-der-aufstand_44393, veröffentlicht am 21.11.2013.
Buch-Nr.: 44393
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M. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
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