/ 11.06.2013
Ulrich Kühn
Der Grundgedanke der Politik Bismarcks
Dettelbach: Verlag J. H. Röll 2001; 319 S.; 29,65 €; ISBN 3-89754-190-4Geschichtswiss. Diss. Freiburg i. Br.; Gutachter: H. Fenske. - Bismarck selbst hat es abgelehnt, seine Politik irgendwelchen Grundsätzen zu unterwerfen. Im Rückblick sagte er dazu: "Wenn ich mit Grundsätzen durchs Leben gehen soll, so komme ich mir vor, als wenn ich durch einen engen Waldweg gehen sollte, und müßte eine lange Stange im Mund halten!" (Tischgespräch 1891, zitiert Seite 17) In dem heute vorherrschenden Bismarckbild wird diese Ablehnung von Prinzipien als Ausdruck seiner Machtpolitik verstanden; diese Sicht des Reichsgründers konkurriert mit konservativen Interpretationen, die den entscheidenden Antrieb für Bismarcks Handeln in seinem christlichen Glauben sehen. Kühns Anliegen ist es, den logischen Bezug zwischen Bismarcks Glauben und seinem Verzicht auf Prinzipien zu analysieren, indem er Bismarcks politisches Denken auf seinen letzten Grundgedanken zurückführt (275). Der erste Teil der Arbeit gibt einen umfassenden Überblick über die bisherige Bismarck-Forschung und zeichnet sich durch eine äußerst klare Systematisierung der verschiedenen Positionen aus, in deren Verständnis des Reichsgründers immer zugleich ihr Verhältnis zum deutschen Nationalstaat deutlich wird. Kühns eigene Analyse des Grundgedankens von Bismarcks Politik im zweiten und dritten Teil zeigt im Ergebnis, dass das Christentum tatsächlich eine entscheidende Bedeutung für sein Denken und Handeln hatte, weil er davon überzeugt war, dass politische Entscheidungen und damit allgemein der Lauf der Geschichte nicht in der Hand eines Politikers, sondern in Gottes Hand liegen: "Bismarck wollte einzig und allein der geschichtlichen Notwendigkeit genügen, in der sich ihm die göttliche Leitung des Weltgeschehens manifestierte. Deshalb vermied er alle vorzeitig gefaßten Ansichten, Programme oder Prinzipien: jede eigene Festlegung, die ihm das Sich-Beugen unter das geschichtlich Gesollte erschwert hätte." (245) Die Ablehnung von politischen Grundsätzen ist also als ein "Verzicht auf Ideologie" (238) zu verstehen. Die oberste Pflicht des Politikers sei es nach Bismarck, auf Gott zu vertrauen und sein Wirken zu ermöglichen, indem der Politiker das Dasein und die Freiheit des Staates sicherstellt (239).
Der Autor vermag es, in einer umfassenden Auseinandersetzung mit den Quellen und durch die Analyse zahlreicher politischer Entscheidungen von Bismarck quasi in einen Dialog mit ihm zu treten. Die dabei erzielten Ergebnisse sind längst nicht nur für die historische Auseinandersetzung mit Bismarck relevant, sondern zeigen zugleich, welches politische Denken dem deutschen Nationalstaat vonseiten des Reichsgründers zugrunde lag.
Hendrik Hansen (HH)
Dr., Lehrbeauftragter, Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
Rubrizierung: 2.311
Empfohlene Zitierweise: Hendrik Hansen, Rezension zu: Ulrich Kühn: Der Grundgedanke der Politik Bismarcks Dettelbach: 2001, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/9393-der-grundgedanke-der-politik-bismarcks_18101, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 18101
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Dr., Lehrbeauftragter, Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
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