/ 03.06.2013
Samuel P. Huntington
Der Kampf der Kulturen. The Clash of Civilizations. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert
München/Wien: Europaverlag 1996; 584 S.; 68,- DM; ISBN 3-203-78001-1Die Theorie der internationalen Politik dient dazu, Erklärungsmuster zu liefern, um die Komplexität der Realität sozialer Beziehungen begreif- und analysierbar zu machen. Vereinfachungen sind dabei nicht nur unumgänglich, sondern sogar wünschenswert. Das einzige Kriterium für die Brauchbarkeit einer Theorie ist ihre Fähigkeit, die Wirklichkeit zu erklären. Deshalb ist eine Theorie auch nur so lange sinnvoll, bis eine andere aufgestellt wird, die mehr erklärt.
Letzteres ist die Absicht des renommierten Professors der Harvard-Universität, Samuel Huntington. Basierend auf der allgemeingültigen Erkenntnis, daß soziale Gruppierungen dazu neigen, sich gegenüber anderen Gruppierungen abzugrenzen, entwickelt Huntington die These, daß diese Tendenz nach dem Ende der bipolaren Struktur des internationalen Systems im Ost-West-Konflikt nun zur Hauptursache für Konflikte und Kriege in der Welt geworden ist. Ausdrücklich möchte er mit seinem Buch "eine Art vereinfachter Landkarte der Realität, eine Theorie, ein Konzept, ein Modell, ein Paradigma" bieten (29).
Der Kern seines Gedankengebäudes ist die Feststellung, daß in der Welt nach dem Kalten Krieg "die wichtigsten Unterscheidungen zwischen den Völkern nicht mehr ideologischer, politischer oder ökonomischer Art" (21) sind. Die Menschen besinnen sich vielmehr wieder stärker auf Kulturen als identitätsstiftende Faktoren. Dementsprechend sieht Huntington die Hauptkonfliktlinien und potentiellen Krisenherde nun auch an den Bruchstellen, an denen verschiedene Kulturkreise aufeinander stoßen. Als wichtigste Kulturkreise identifiziert er den sinischen (China und die chinesischen Gemeinschaften außerhalb Chinas), den japanischen, den hinduistischen, den islamischen, den westlichen und den lateinamerikanischen.
Diese Unterteilung hatte schon nach der Publikation des aufsehenerregenden Artikels "The Clash of Civilizations?" in der Zeitschrift Foreign Affairs im Jahre 1993 zu Kritik geführt. Auch im Buch gelingt es dem Autor nicht, beispielsweise die Unterscheidung in lateinamerikanischen und westlichen Kulturkreis plausibler zu machen. Auch die daraus entwickelte Prognose, daß zwischen diesen Kulturkreisen unausweichlich große Konflikte zu erwarten sind, hat nach über 500 Seiten gegenüber dem ursprünglichen Aufsatz nichts an Überzeugungskraft gewonnen. Zwar legt Huntington eine beeindruckende Vielfalt an Informationen vor, die seine Thesen belegen sollen, aber der Ansatz, daß künftige Konflikte einem universellen, kulturell geprägten Muster folgen werden, gibt dem Faktor Kultur ein zu großes Gewicht. Auch wenn die Menschen sich stärker auf ihre kulturelle Identität besinnen, so folgt daraus noch lange nicht, daß politische Institutionen, wie der Staat oder die internationalen Organisationen daraus entstehende Konflikte nicht durch verstärkte Kooperation lösen könnten. Auch die Tatsache, daß sich das Machtstreben von Staaten selbst hinter einer kulturell verbrämten Ideologie verstecken kann, wird viel zu wenig beachtet. Auffällig ist dies insbesonders bei Huntingtons Interpretation des Bosnien-Krieges. Das Szenario einer muslimischen Solidarisierung, das Huntington ausmalt, um seine These von der Unvereinbarkeit islamischer und westlicher Kultur zu untermauern, ignoriert völlig, daß nicht die religiösen Unterschiede, sondern vielmehr das Machtstreben von politischen Gruppierungen und Intellektuellen am Anfang stand. Überhaupt sieht Huntington das größte Unheil für den Westen aus dem islamischen Kulturkreis kommen, vor allem jedoch von einer islamisch-konfuzianischen Allianz aus Pakistan, China und dem Iran.
In dieser Konfliktkonstellation liegt aber auch gleichzeitig der eigentliche Kern des Buches: Es ist ein Versuch, den Westen gegenüber den drohenden Gefahren aus anderen Kulturkreisen aufzurütteln. Huntington diagnostiziert einen Verfall der westlichen Kultur, schlägt als Gegenmittel jedoch genau die Instrumente vor, die er bei der Untermauerung seiner Hauptthese systematisch vernachlässigt hat: die politische Kooperation bis hin zur Institutionenbildung (506 f). Warum dieses Rezept aber nicht auch zwischen Staaten verschiedener Kulturkreise funktionieren soll, wird leider nicht thematisiert. Läßt man die düsteren Elemente der Bedrohung des Westens durch das Fremde, die Huntington so dramatisch ausmalt, beiseite, so bleiben die üblichen Konfliktgründe übrig: soziale, politische und ökonomische Gegensätze. Diese können aber auch durch bereits vorhandene Theorien erklärt werden.
Walter Rösch (WR)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 4.43 | 2.2 | 2.23 | 2.25 | 2.64 | 4.41 | 4.42 | 5.4
Empfohlene Zitierweise: Walter Rösch, Rezension zu: Samuel P. Huntington: Der Kampf der Kulturen. München/Wien: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/1557-der-kampf-der-kulturen_1772, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 1772
Rezension drucken
M. A., Politikwissenschaftler.
CC-BY-NC-SA