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/ 17.06.2013
Clemens Vollnhals / Jürgen Weber (Hrsg.)

Der Schein der Normalität. Alltag und Herrschaft in der SED-Diktatur

München: Olzog 2002; 455 S.; pb., 19,50 €; ISBN 3-7892-8077-1
Eine "Diktatur der Kellner und Verkäuferinnen" (108) war die DDR, aber die Mangelwirtschaft war nicht alles, was das tägliche Leben beherrschte. Denn nur "wer sich dem Austausch von angebotener Fürsorge gegen Gehorsam nicht verweigerte, konnte sich mit den Verhältnissen arrangieren, ohne mit ihnen in Konflikt zu geraten" (16). Wie weit der Einfluss der DDR-Führung auf den Alltag der Menschen reichte, zeigt dieser gut lesbare Sammelband, der auf eine Tagung der Akademie für Politische Bildung Tutzing im Oktober 2000 zurückgeht. Für den Druck wurden die Referate erweitert und durch zusätzliche Beiträge ergänzt. Die wissenschaftlichen Analysen und persönlichen Erfahrungsberichte bieten einen lebensnahen Eindruck des vom Staat beherrschten Alltäglichen und gehen über historische Betrachtungen hinaus. So werden die Wurzeln der ostdeutschen Mentalität mit einer "Ambivalenz der Gemütszustände" (21) erklärt, die auch heute noch für viele Westdeutsche schwer zu verstehen ist. Deutlich wird beispielsweise außerdem, dass die rechtsextreme Jugendszene in den neuen Bundesländern nach der Wende nicht einfach vom Himmel gefallen ist (212 ff.). Mit der Mangelwirtschaft sind die DDR-Bürger übrigens auf ihre Weise einigermaßen fertig geworden: Teilweise überstieg die private Einfuhr von Kaffee, Kakao, Oberbekleidung und Schuhen per Päckchen aus dem Westen die Menge der in der DDR produzierten Waren (107). Inhalt: Stefan Wolle: Sehnsucht nach der Diktatur? Die heile Welt des Sozialismus als Erinnerung und Wirklichkeit (17-38); Peter Skyba: Sozialpolitik als Herrschaftssicherung. Entscheidungsprozesse und Folgen in der DDR der siebziger Jahre (39-80); Annette Kaminsky: Konsumpolitik in der Mangelwirtschaft (81-112); Clemens Vollnhals: Denunziation und Strafverfolgung im Auftrag der "Partei". Das Ministerium für Staatssicherheit (113-156); Achim Beyer: Die "Werdauer Oberschüler" - Widerstand und Verfolgung von Jugendlichen zu Beginn der fünfziger Jahre. Ein Zeitzeugenbericht (157-200); Thomas Auerbach: Jugend im Blickfeld der Staatssicherheit (201-217); Annegret Dirksen / Hans-Hermann Dirksen: Die Kinder der Zeugen Jehovas - Staatliche Ausgrenzung und soziale Repression (218-286); Joachim Walther: Die alltägliche Zensur und der Alltag in der Literatur (287-304); Baldur Haase: Volkskunst und Stasi - am Beispiel des Bezirkes Gera (305-340); Bernd Eisenfeld: Flucht und Ausreise - Erkenntnisse und Erfahrungen (341-372); Edmund Käbisch: Die letzten Jahre der DDR. Mein Alltag als evangelischer Pfarrer in Zwickau (373-416); Ines Geipel: Das "Sportwunder" DDR und die andere Seite seiner Medaillen (417-443).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Clemens Vollnhals / Jürgen Weber (Hrsg.): Der Schein der Normalität. München: 2002, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/16308-der-schein-der-normalitaet_18720, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 18720 Rezension drucken
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