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/ 04.06.2013
Frank Pilz

Der Steuerungs- und Wohlfahrtsstaat Deutschland. Politikgestaltung versus Fiskalisierung und Ökonomisierung

Opladen: Leske + Budrich 1998; 409 S.; kart., 68,- DM; ISBN 3-8100-2004-4
Seit dem Ende des "keynesianischen Konsensus", mit dem parteiübergreifend der Anspruch wohlfahrtsstaatlicher Gesellschaftsgestaltung verbunden war, setzte auch in der Bundesrepublik ein Prozeß politischer Umorientierung ein, der in den Augen einer normativen Staatstheorie mit einem zunehmenden Politikverzicht gleichzusetzen ist. Für Pilz beruht dieser auf zwei sich wechselseitig verstärkenden Tendenzen: Einerseits folgt die Politik des Bundes mehr und mehr dem Primat einer Sicherung der Staatsfinanzen (Fiskalisierung), andererseits droht in weiten Bereichen individuellen oder organisierten gesellschaftlichen Handelns die Orientierung an ökonomischen Kalkülen dominant zu werden (Ökonomisierung). Aus der Perspektive eines "normativen Ansatzes aktiver Politikgestaltung" (16, 26 ff.) will der Autor an zwei Politikfeldern (Finanz-/Sozialpolitik, Umweltpolitik) nicht nur Voraussetzungen und Folgen dieser Tendenzen analysieren, sondern auch steuerungstheoretische Alternativen aufzeigen (52 ff., 323 ff.). Methodisch stellt die Studie trotz ihrer vielfältigen empirischen Bezüge in erster Linie eine sehr differenzierte - und durchgehend kritische - "dogmengeschichtliche" Auseinandersetzung mit theoretischen bzw. analytischen Konzepten dar, die dem Autor als Voraussetzungen der Fiskalisierungs- und Ökonomisierungstendenzen gelten. Dazu gehören zum einen die Ansätze des Public-Choice, der konstitutionellen Budgetreform und der Angebotspolitik (131 ff.), zum anderen die strategischen Handlungslogiken organisierter Akteure im Rahmen politischer Netzwerke (218 ff.). Nach einer relativ knappen politikfeldbezogenen Konkretisierung der zuvor entwickelten Tendenzen (231 ff.) skizziert Pilz im letzten Teil (IV) "pragmatische" Möglichkeiten einer Wiedergewinnung politischen Gestaltungsspielraums, die sich an drei auch andernorts diskutierten Leitgedanken (soziale Gerechtigkeit, "Sustainability", Partizipation) orientieren (323 ff.). Insgesamt ist die Arbeit gerade aufgrund der breiten Berücksichtigung auch neuer Literatur für eine Politikreform-Debatte sehr anregend; allerdings hätte seine Argumentation durch eine abschließende Zusammenfassung der eingangs formulierten Hypothesen noch an Übersichtlichkeit gewonnen. Aus dem Inhalt: 2.1 Rezeption angebotsorientierter Ansätze und politischer Netzwerkkonzepte zur Erklärung von Fiskalisierungs- und Ökonomisierungstendenzen; 2.2 Überprüfung der Fiskalisierungs- und Ökonomisierungsrelevanz angebotsorientierter und netzwerkbezogener Konzepte; 2.3 Politik- und systembezogene Ergebnisse und Entwurf politikfeldspezifischer Alternativen; 3. Normative Positionen. I. Steuerungs- und wohlfahrtsbezogene Begriffserklärungen sowie Interpretationen der politischen Steuerungsrolle und politikfeldspezifischer Gestaltungspotentiale: 1. Begriffsbestimmung und Sichtweisen der politischen Steuerung; 2. Definitionen des Wohlfahrtsbegriffs sowie Interpretation und Reformvorschläge zum Wohlfahrtsstaat. II. Ansätze zur Erklärung von Fiskalisierungs- und Ökonomisierungstendenzen (wohlfahrts-)staatlicher Politik: 1. Angebotsorientierte Ansätze und ihr Steuerungseinfluß auf die Fiskalisierung und Ökonomisierung der Finanz- und Sozialpolitik: 1.1 Der Public-Choice-Ansatz als Grundorientierung angebotsorientierter Politik; 1.2 Der Ansatz der konstitutionellen Budgetreform; 1.3 Das Konzept der Angebotspolitik; 1.4 Der Entwurf der sozialdemokratischen Angebotspolitik; 2. Konzepte politischer Netzwerke und ihre Erklärungsmöglichkeiten der Ökonomisierung im Wohlfahrtssektor Umwelt. III. Die Relevanz der Fiskalisierung und Ökonomisierung in ausgewählten Politikfeldern: 1. Angebotspolitisch angeleitete Fiskalisierung und Ökonomisierung der Finanz- und Sozialpolitik; 2. Netzwerkbestimmte Ökonomisierung der Umweltpolitik. IV. Resümee und Alternativen: 1. Steuerungsergebnisse wohlfahrtsstaatlicher Politik: Politik- und systemstabilisierende Wirkungen; 2. Ansätze politikfeldspezifischer Alternativen.
Thomas Mirbach (Mir)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.32.3412.3432.322.342 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Frank Pilz: Der Steuerungs- und Wohlfahrtsstaat Deutschland. Opladen: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/5639-der-steuerungs--und-wohlfahrtsstaat-deutschland_7343, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 7343 Rezension drucken
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