Skip to main content
/ 04.06.2013
Franz Janka

Die braune Gesellschaft. Ein Volk wird formatiert

Stuttgart: Quell 1997; 496 S.; geb., 56,- DM; ISBN 3-7918-1975-5
Der Begriff "Volksgemeinschaft", die daran geknüpften Vorstellungen und Sehnsüchte in der deutschen Gesellschaft seit dem 19. Jahrhundert sowie seine Funktion im Programm und Diskurs der NS-Ideologie haben den Autor zu einer umfassenden (und umfangreichen) Analyse dieses Begriffs als einem Paradigma der deutschen Gesellschaft angeregt. Ausdrücklich stellt der Autor seine These (als Dissertation 1993 vorgelegt und für diese Veröffentlichung aktualisiert und erweitert) in den Zusammenhang der Forschungen zum Nationalsozialismus, wozu Untersuchungen mit einem eigentlich soziologischen Erkenntnisinteresse bislang nur einen geringen Beitrag geleistet haben, wie Janka im ersten Teil, der umfassend in Gegenstand und Problemstellung einführt, darlegt. Der zweite Teil ("Vom Gemeinschaftsbegriff zur Volksgemeinschaft") bietet einen systematischen Abriß der ideengeschichtlichen Begriffsentwicklung, von seiner Einführung in die Gesellschaftstheorie im späten 19. Jahrhundert über seine Stellung im Gedankengut von Jugendbewegung, christlichen Kreisen sowie den Krieger- und Veteranenvereinigungen vor und nach dem Ersten Weltkrieg bis hin zu seiner Umformung zum Konzept der "Volksgemeinschaft" in der Ideologie des Nationalsozialismus. "Die Politisierung des Gesellschaftsmodells 'Volksgemeinschaft'" wird im folgenden dritten Teil unter den Aspekten der Gleichschaltung und uniformen Organisation der bis dahin pluralistischen Gesellschaft einerseits und der Formation einer "deutschen Volksgemeinschaft" "durch radikale Säuberung der Gesellschaft" (282) mittels rassistischer Ausgrenzung und Vernichtung der Ausgegrenzten andererseits untersucht. Im vierten Teil ("Manifestationen der Volksgemeinschaft") widmet sich der Autor symbolischen Identifikationsmustern der "Volksgenossen", im Führerkult sowie in der "permanenten Inszenierung" eines Gemeinschaftserlebnisses im NS-Staat durch Massenveranstaltungen, Aufmärsche usf. Den letzten Teil der Untersuchung bilden Jankas Überlegungen zum "wahre[n] Gesicht der Volksgemeinschaft" (403), die insbesondere die eigentliche Funktion der Rede von der "Volksgemeinschaft" als psychologische Vorbereitung der deutschen Gesellschaft auf den Eroberungskrieg (vom "Lebensraum"-Programm bis zur propagandistischen Einschwörung der "Schicksalsgemeinschaft der Deutschen" auf den "totalen Krieg") gelten und im Anschluß daran Restbestände, Versatzstücke und andauernde Denkmuster in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften als das unbequeme und vielfach unreflektierte Erbe einer brutal enttäuschten "Sehnsucht" nach Gemeinschaft ausmachen.
Michael Hein (HN)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Arbeitsstelle für graphische Literatur, Universität Hamburg, freier Lektor, Übersetzer, Publizist.
Rubrizierung: 2.3122.35 Empfohlene Zitierweise: Michael Hein, Rezension zu: Franz Janka: Die braune Gesellschaft. Stuttgart: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/4428-die-braune-gesellschaft_6224, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 6224 Rezension drucken
CC-BY-NC-SA