Geschrieben in den Jahren 1845/46 ist „Die deutsche Ideologie”, dieses seinerzeit nur in Auszügen publizierte und unvollendet gebliebene Textkonvolut, ein Schlüsselwerk zum Verständnis des historischen Materialismus und eine Dokumentation der polemisch geführten Intellektuellendebatten im Vormärz. Nicht nur, dass Marx und Engels hierin den Grundstein zu einer Theorie der Menschheitsentwicklung legten, fanden sich in ihr doch auch zum ersten Mal eine Theorie und eine soziale Bewegung systematisch miteinander in Verbindung gesetzt. Dass Marx, dem das Gros der Textfragmente zugeschrieben wird, die Heilung der gesellschaftlichen Malaisen seiner Zeit dabei vom Proletariat erwartete, mag naiv anmuten, aber es dokumentiert doch zugleich eine Absage an die vorherrschende Auffassung von Politik, Gesellschaft und Philosophie. Dies und die vielen tatsächlichen oder vermeintlichen Widersprüche eines Autors, der einerseits Hegel kritisierte und andererseits nicht ohne diesen auskam, machen die Interpretation der „deutschen Ideologie” zu einer wahren Herausforderung, der sich Bluhm und seine zwölf Mitstreiter gestellt haben. In zwölf Aufsätzen von durchweg guter Qualität arbeiten die Autoren die Bedeutungsschwere des Werkes für die Ideengeschichte und für die Entwicklung der modernen Sozialwissenschaft heraus, wobei sie ihren Blick unter anderem auf die Feuerbach-Thesen, auf die Auseinandersetzungen mit Bruno Bauer, Max Stirner und den deutschen Sozialismus, auf die Gesellschaftsauffassung, auf Arbeitsteilung und Subjektivität sowie auf die Geschichtsphilosophie richten. Das Interessante daran ist, dass die gewonnenen Erkenntnisse nicht nur die identifizierten Widersprüche in der Argumentation oder in den von Marx und Engels verwendeten Begrifflichkeiten in ein neues Licht rücken, sondern ganz nebenbei auch die Mängel einer ideologisch-einseitigen Lesart zutage gefördert werden. Dem entgegen handelt es sich bei diesem Band um eine Interpretation, die selbst noch Interpretationen zulässt und dazu verleitet, das Original ganz neu zu lesen.