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/ 22.06.2013
Torsten Wilholt

Die Freiheit der Forschung. Begründungen und Begrenzungen

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2012 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2040); 372 S.; 16,- €; ISBN 978-3-518-29640-0
Die Grenzen der Forschungsfreiheit zu bestimmen, ist in liberalen Gesellschaften ein heikles Thema – jedem ist bewusst, dass Wissenschaft nicht alles darf und verhältnisunmäßige Eingriffe werden sowohl inner- als auch außerhalb der akademischen Welt scharf verurteilt. Wilholt systematisiert aus der Perspektive einer sozialen Erkenntnistheorie drei wesentliche Gründe, die für den Schutz beziehungsweise die Grenzen der Forschungsfreiheit sprechen könnten: Moralphilosophisch ließe sie sich aus der menschlichen Autonomie begründen. Da aber Wissenschaft im sozialen Raum stattfindet, reicht dieses individualistische Argument allein nicht aus, um eine extensive Auslegung zu rechtfertigen. Epistemologisch legitimiert sich Forschungsfreiheit aus der Annahme, dass wissenschaftliches Wissen einen besonderen Wert für die Gesellschaft hat. Dies impliziert aber, dass so lediglich die freie Wahl der Forschungsmethode begründet werden kann. Welche Werte eine Gesellschaft anstrebt und welche sie mit diesen als unvereinbar begreift, ist keine wissenschaftliche Entscheidung. Politisch stellt sich gerade die Gewährung der Forschungsfreiheit als Voraussetzung für demokratisches Entscheiden heraus, auch wenn dies bedeutet, dass sie im politischen Prozess mit anderen Gütern abgewogen werden muss, sie also keinen absoluten Wert darstellt. Weder können jedes dieser Argumente allein noch gemeinsam eine unbegrenzte Freiheit der Forschung, die der Autor natürlich grundsätzlich fordert, rechtfertigen. Diese allgemeine Position, die Politikwissenschaftlern aufgrund ihrer Normativität wohl suspekt erscheint – etwa wenn Wilholt politische Prozesse in Demokratien nur mit dem Label pluralistisch versieht –, konkretisiert der Autor an drei der umstrittensten Bereiche gegenwärtiger Forschung: Während Wilholt Forschungen über den Zusammenhang von „Rasse“ und Intelligenz aufgrund der Inkommensurabilität mit grundlegenden demokratischen Werten nur ein Mindestmaß an Freiheit zugesteht, ist der Bereich der embryonalen Stammzellenforschung unter bestimmten Prämissen durchaus weiter gesteckt, aber selbstverständlich weit davon entfernt, völlig frei zu sein. Besonders interessant ist jedoch die Frage, ob die Kommerzialisierung eine Bedrohung der Forschungsfreiheit bedeutet: Da durch die zunehmende Marktorientierung die Autonomie des individuellen Forschens eingeschränkt wird, der gesellschaftliche Wert hinter den ökonomischen Nutzen zurücktritt und Auftragsforschung selbst in die demokratische Kontrolle eingreift, bedeutet die Marktorientierung eine zentrale Herausforderung für die Forschungspraxis; zugleich zeigt dies nur überdeutlich die Notwendigkeit, Wissenschaft als ein soziales und politisches Feld zu begreifen.
Frank Schale (FS)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 5.2 Empfohlene Zitierweise: Frank Schale, Rezension zu: Torsten Wilholt: Die Freiheit der Forschung. Frankfurt a. M.: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/35473-die-freiheit-der-forschung_42773, veröffentlicht am 08.11.2012. Buch-Nr.: 42773 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
CC-BY-NC-SA