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/ 03.06.2013
Rolf Breitenstein

Die gekränkte Nation. Geschichte und Zukunft der Deutschen in Europa

München: Universitas 1996; 325 S.; geb., 39,90 DM; ISBN 3-8004-1328-0
Breitenstein sieht die Vereinigung von 1990 als eine historische Chance für Deutschland, sich als eine demokratische Nation zu etablieren. Voraussetzung dafür ist die Auseinandersetzung mit der eigenen nationalen Identität. Der Autor unternimmt diese Auseinandersetzung mit dem "geopsychologischen Ansatz, der über das kontroverse Gebiet der Geopolitik hinausführt" (14). So wie Amerikaner durch die Erfahrungen mit der nach Westen wachsenden Grenze und Briten durch ihre Insellage geprägt wurden, beruhen auch deutsche Charaktermerkmale auf geopsychologischen Faktoren. Das für die Deutschen kennzeichnende Gefühl ist das der Gekränktheit. Dieses Gefühl hat nach Breitenstein "geopolitische Ursachen, die auf die Psyche des deutschen Volkes eingewirkt haben: Es erscheint ungerechtfertigt und ungerecht, daß die Deutschen im Zentrum Europas in eine Lage gebracht wurden, in der sie so leicht und von allen Seiten bedroht werden können und in der eine nationale Selbstverwirklichung so schwer wird" (144). Mittellage und unsichere Grenzen haben also die psychischen Strukturen der Nation geprägt. Von dieser These ausgehend werden deutsche Charaktereigenschaften gedeutet. Zwei Eigenschaften schälen sich besonders heraus: zum einen Unsicherheit und Angst, zum anderen Perfektionsstreben als Mechanismus zur Kompensation. Breitensteins Beispiele haben eine erstaunliche Breite und reichen von Goethes Faust über Steffi Graf, den Historikerstreit und den Holocaust bis hin zur Fremdenfeindlichkeit. Letztere wurzele in großem Maße auf der mangelnden territorialen Abgrenzung und der fast zwangsläufigen ethnischen Abgrenzung zu Fremden. Ausblickend stellt der Autor fest, daß sich Deutschland im Rahmen der nunmehr gefundenen Grenzen auf den Gebieten der Dritte-Welt-Politik, der Sicherheitspolitik (Verzicht auf Atomwaffen) und der Ökologie international profilieren könnte. Leider kommt in diesem kurzweiligen und diskussionswürdigen Buch der Einfluß des deutsch-französischen Gegensatzes zu kurz, der vor allem über die literarische Verarbeitung (Herder, Fichte, Kleist) das mythische deutsche Nationenmuster entscheidend geprägt hat. Die französische Besatzung und die Befreiungskriege zu Beginn des 19. Jahrhunderts weisen eine ganz offensichtliche geopsychologische Dimension im Sinne des Autors auf. Inhaltsübersicht: Einblick: Ein Volk. Ein schwieriges Volk? Wesen und Wege von Völkern; Geographische Verfassungen; Die gekränkte Nation; Leitbilder für Deutschland; Ausblick 2000: Eine Welt. Eine schwierige Welt?
Stefan Lembke (SL)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.352.31 Empfohlene Zitierweise: Stefan Lembke, Rezension zu: Rolf Breitenstein: Die gekränkte Nation. München: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/1950-die-gekraenkte-nation_2329, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 2329 Rezension drucken
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