/ 04.06.2013
Hans Jürgen Wendel
Die Grenzen des Naturalismus. Das Phänomen der Erkenntnis zwischen philosophischer Deutung und wissenschaftlicher Erklärung
Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1997; XI, 203 S.; brosch., 59,- DM; ISBN 3-16-146721-3Die Arbeit zieht gegen einen falsch verstandenen Naturalismus in der Erkenntnistheorie zu Felde, das heißt gegen die Überzeugung, daß die Naturwissenschaft allein über den Status menschlicher Erkenntnis aufklären könne, ohne daß auf vorempirische bzw. philosophische Erkenntnistheorie zurückgegriffen werden müsse. Als paradigmatisch für einen solchen naiven Naturalismus gilt Wendel die "Mode des Konstruktivismus" (V), gegen welchen sich seine Argumente primär richten. Wendel hält die Auseinandersetzung mit einer Mode (von der Hegel einst sagte, daß sie der Mühe nicht wert sei, den Verstand zu bemühen) für "eine Frage geistiger Hygiene", da "das bessere Argument" - das nämlich gegen den Konstruktivismus - von sich aus leider kein Gehör finde (VI).
Nun gibt es zweifellos gewichtige Einwände gegen Konstruktivismus sowie den naiven Naturalismus; und Wendels Nachweis theoretischer Schwierigkeiten der konstruktivistischen Theorie ist in mehreren Punkten ebenso überzeugend wie die Feststellung, daß Erkenntnistheorie auf vorempirische Reflexion nicht verzichten kann. Gleichwohl will das Ganze nicht recht überzeugen: Denn Wendel geht es nicht nur um den Nachweis der Unzulänglichkeiten des naiven Naturalismus, sondern auch um eine Verteidigung des erkenntnistheoretischen Realismus, die er schon dann für gelungen hält, wenn "der Realismus im Lichte aller zur Verfügung stehenden Argumente besser abschneidet als seine Konkurrenten" (109). Aber das Licht der zur Verfügung stehenden Argumente leuchtet nicht: Dort wo der Leser eine Prüfung der - zahlreich vorhandenen - Schwächen des Realismus und "das bessere Argument" erwartet, finden sich statt dessen einschlägig bekannte Litaneien, die Wendels Buch selbst als Erscheinung einer - allerdings etwas in die Jahre gekommenen - Mode ausweisen: Da wird über Fallibilismus, die Unsicherheit unserer Erkenntnis, das Abgrenzungskriterium oder über Wahrheitstheorien gehandelt, doch daß der erkenntnistheoretische Realismus mit Schwierigkeiten konfrontiert ist, die sich aus der Struktur der Materie ergeben, erfährt man nicht. Statt dessen wird am Ende des Buches versichert, daß der "Realismus des Alltagsverstandes" - wenn auch nicht beweisbar -, so doch eine plausible Sache sei. Das aber hat uns vor vielen Jahren bereits Popper erklärt - freilich weniger wortreich.
Michael Henkel (MH)
Priv.-Doz. DR., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.2
Empfohlene Zitierweise: Michael Henkel, Rezension zu: Hans Jürgen Wendel: Die Grenzen des Naturalismus. Tübingen: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/3776-die-grenzen-des-naturalismus_5056, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 5056
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Priv.-Doz. DR., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
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