/ 05.06.2013
George Soros
Die Krise des Globalen Kapitalismus. Offene Gesellschaft in Gefahr. Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder, Meinhard Büning, Tatjana Eggeling, Jeremy Gaines und Bernd Leineweber
Berlin: Alexander Fest Verlag 1998; 300 S.; geb., 39,80 DM; ISBN 3-8286-0097-2"Das kapitalistische Weltsystem steht unmittelbar vor seiner Auflösung" (140), so die Prognose des Finanzgenies und Philantropen Soros angesichts der Weltfinanzkrise im August 1998. Seine Aussage begründet er mit den Argumenten der Instabilität des Marktmechanismus, dem Versagen der Politik und der Erosion der moralischen Werte, wobei ihm die Mängel der Politik weit "umfassender und lähmender als die Mängel des Marktmechanismus" (22) erscheinen. Markt-, Moral- und Politikversagen bleiben also in der Diskussion, in seinen essayistischen Reflexionen bemüht Soros Theorie und Praxis. Im ersten theoretisch-begrifflichen Teil des Buches legt er seine Geschichts- und Weltanschauung dar, die sich auf Poppers Werk "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" stützt. Mit der Einführung des Begriffes Reflexivität als Einspruch gegenüber dem kritischen Rationalismus möchte Soros verdeutlichen, daß es Rückkopplungsmechanismen zwischen Denken und Realität gibt. Tatsachen können durch Aussagen beeinflußt werden, die über sie gemacht werden. Damit kommt Soros zu der Arbeitshypothese, "daß alle menschlichen Konstrukte fehlerhaft sein können" (52). Übertragen auf die Finanzmärkte heißt das: "Nicht Wissen, sondern Vorurteile liegen den Handlungen der Marktteilnehmer zugrunde" (24). So folgt das kapitalistische Weltsystem dem Muster von Vorurteil und Trend. Es ist der Glaube an den selbstregulierenden Mechanismus des Marktes und der Trend des internationalen Wettlaufes um Kapital. Laut Soros ist das Fundamentalismus und er kommt zur zentralen Aussage seines Buches: "Der heutige Marktfundamentalismus ist eine wesentlich größere Bedrohung für die offene Gesellschaft als jede totalitäre Ideologie" (20).
Im zweiten Teil wird Soros praktischer. Er analysiert verschiedene Gründe für die Weltfinanzkrise, sieht aber mit einem besorgten, selbstkritischen Gefühl im Falle Rußlands die Hauptquelle der Labilität im internationalen Finanzsystem selbst. "Was ich daran so unheimlich finde ist, daß eine Verschärfung der Krise nicht verhindert werden konnte - obwohl es in der amerikanischen Notenbank ein exzellentes Team gibt und Rußland die beste Regierung seiner kurzen post-sowjetischen Geschichte hatte. Auch mit meiner eigenen Rolle bin ich nicht sonderlich glücklich" (213). Deshalb, so Soros, müssen die weltweiten Finanzmärkte reguliert werden und zwar durch eine internationale Kreditversicherungsgesellschaft, länderübergreifende Überwachungs- und Regulierungsbehörden, eine Umgestaltung der UN als Parlament aller Staaten und durch mehr Verantwortlichkeit des IWF und der Kreditgeber gegenüber den Kreditnehmern. "Kurz: wir brauchen eine Weltgesellschaft, die die Weltwirtschaft trägt" (30). Ob Soros mit diesem Appell Gehör findet, beantwortet er selbst: "Ich frage mich, ob dieses Buch überhaupt zur Hand genommen würde, stünde ich nicht im Ruf, eine Art Finanz-Zauberkünstler zu sein" (262).
Inhalt: I. Der begriffliche Rahmen: 1. Fehlbarkeit und Reflexivität; 2. Eine Kritik der Wirtschaftswissenschaften; 3. Reflexivität auf Finanzmärkten; 4. Reflexivität in der Geschichte; 5. Die offene Gesellschaft. II. Der gegenwärtige historische Moment: 6. Das kapitalistische Weltsystem; 7. Die Weltfinanzkrise; 8. Wie läßt sich der Kollaps verhindern?; 9. Auf dem Weg zu einer offenen Weltgesellschaft; 10. Der internationale Rahmen; 11. Fahrplan für die offene Gesellschaft.
Wilhelm Johann Siemers (Sie)
Dipl.-Politologe, Journalist, Redakteur der Sprachlernzeitschrift vitamin de, Florenz.
Rubrizierung: 4.43 | 2.2 | 5.42
Empfohlene Zitierweise: Wilhelm Johann Siemers, Rezension zu: George Soros: Die Krise des Globalen Kapitalismus. Berlin: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/8058-die-krise-des-globalen-kapitalismus_10656, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 10656
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Dipl.-Politologe, Journalist, Redakteur der Sprachlernzeitschrift vitamin de, Florenz.
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