/ 04.06.2013
Christian Thies
Die Krise des Individuums. Zur Kritik der Moderne bei Adorno und Gehlen
Reinbek: Rowohlt 1997; 318 S.; 26,90 DM; ISBN 3-499-55590-5Der Untersuchung liegt eine gekürzte und überarbeitete Dissertation zugrunde (Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg); die neue Fassung zielt auf ein breiteres Publikum ab.
Thies ist "nicht an Philosophiegeschichte oder Exegese interessiert" (16), er stellt seinen "problemorientierten Zugriff" (16) auf die kulturkritischen Werke Adornos und Gehlens unter die Leitfrage nach der "Situation der Individuen in den demokratischen Wohlstandsgesellschaften" (12). Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft und politischen Orientierungen - Adorno: jüdischer Emigrant und marxistisch orientierter Denker, Gehlen: preußisch-deutsches Bürgertum und anfänglich aktive Unterstützung des Nationalsozialismus - stellen beide in den 60er Jahren verblüffende Übereinstimmungen in ihren Zeitdiagnosen fest. Wichtige Unterschiede weisen hingegen ihre gesellschaftstheoretischen Erklärungsmuster auf; völlig konträr stellen sich ihre normativen Hintergrundannahmen dar, die der Autor zu rekonstruieren sucht. Adorno und Gehlen verbindet wiederum ein gemeinsamer pessimistischer Ausblick: der bürgerliche Rückzug ins Private und der "Trost" in der Kunst als "Ersatz-Ethik" (277). Thies stellt die Schwächen ihrer gesellschaftstheoretischen Ansätze heraus, die zu "einem bedenklichen Politik-Defizit" (285) führen. Politisches Handeln hat "weder bei Adorno noch bei Gehlen einen systematischen Ort; die politische Dimension der praktischen Philosophie droht verlorenzugehen" (285).
Aus dem Inhalt: II. Zeitdiagnose: Die Situation der Individuen in der Moderne: 1. Erfahrungsverlust; 2. Vermassung; 3. Erlebnisorientierung; 4. Verfall und Zerfall der Individualität. III. Gesellschaftstheoretische Erklärungsansätze: 1. Die Struktur moderner Gesellschaften: Verselbständigung; Das Verschwinden der intermediären Instanzen; Differenzierung und Aufbau; Die gesellschaftliche Basislogik; Entlastung oder Entfremdung? 2. Verdinglichung oder Überforderung? IV. Normative Hintergründe: Modelle richtigen Lebens: 1. Bildung; 2. Freiheit; 3. Glück und Askese; 4. Persönlichkeit und opferlose Nichtidentität; 5. Vergleich der Grundprinzipien.
Andreas Eis (AE)
Jun.-Prof. Dr., Didaktik des politischen Unterrichts und der politischen Bildung, Institut für Sozialwissenschaften Oldenburg, Fakultät I.
Rubrizierung: 5.46
Empfohlene Zitierweise: Andreas Eis, Rezension zu: Christian Thies: Die Krise des Individuums. Reinbek: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/4166-die-krise-des-individuums_5877, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 5877
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Jun.-Prof. Dr., Didaktik des politischen Unterrichts und der politischen Bildung, Institut für Sozialwissenschaften Oldenburg, Fakultät I.
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