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/ 05.06.2013
Christian Nürnberger

Die Machtwirtschaft. Ist die Demokratie noch zu retten?

München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1999; 278 S.; brosch., 26,- DM; ISBN 3-423-24162-4
Darf sich ein Journalist und ausgebildeter Theologe, der vornehmlich fürs Feuilleton schreibt, kritisch zu Themen äußern, die der common sense üblicherweise dem Sachverstand von Ökonomen überläßt? Schon den in dieser Frage enthaltenen Respekt vor dem sogenannten Expertenwissen - namentlich dem der Wirtschaftswissenschaft - hält Nürnberger für unbegründet: "Der Beitrag der Ökonomen zur Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme eines Landes ist vernachlässigenswert." (15) Aber problematisch ist heute nicht deren - vermeintliche - Realitätsferne, sondern die wirkungsmächtige Monotonie ihrer neoliberalen Botschaft, die die freie (Welt-)Marktwirtschaft fordert, damit aber nur einer Systemtransformation das Wort redet, an deren Ende eine - allein den "Shareholdern" nutzende - "Machtwirtschaft" steht (8). Die interessenpolitische Entlarvung der ökonomischen Ideologie ist das eine der beiden Leitmotive des Buches; das andere gilt den Folgen der der Informationsgesellschaft zugrundeliegenden "digitalen Revolution", die, fest in Händen weniger transnational operierender Monopole, den Prozeß der Globalisierung anheizt und mit ihm die Umverteilung von unten nach oben. Das, was gegen diese "Jahrhundert-Sturmflut" (13) zu tun ist, ergibt sich für den Autor aus zwei einfachen Statements: "Nicht weniger, sondern mehr Sozialstaat" und "Das Geld wird sich der Staat dort holen müssen, wo es vorhanden ist" (13). Die einzelnen Abschnitte des Buches - zumeist überarbeitete Artikel für die Süddeutsche Zeitung - sind pointiert und eingängig formuliert, sie bieten polemische Beobachtungen eines Zeitgenossen, der sich vehement gegen die "kalte Blindheit ökonomischer Professionalität" (194 ff.) wehrt. Inhalt: Vorwort: Wertegemeinschaft oder Wertpapiergemeinschaft?; Die Priesterherrschaft der Ökonomen. Die digitale Revolution: Analog - digital; Die nicht erkannte Revolution; Der Paradigmenwechsel vom Atom zum Bit; Der verpaßte Zug; Der Unterschied zwischen den USA und Europa; Good Vibrations und der Muff von tausend Jahren; Noch einmal: der Krieg; Das Erwachen; Die kalifornische Ideologie; Die alte Schüleraufsatz-Frage: Ist Technik gut oder böse?; Der Große Bruder und seine kleinen Helfer; Der Digerati wird salonfähig; Der Mensch ist eine Beta-Version. Von der Marktwirtschaft zur Machtwirtschaft: Eine neue "Kulturtechnik": CAG - Computer Aided Greed; Mut zum Neid; Mythos Leistung; Leistungsgerechtigkeit, Menschlichkeit und intelligenter Egoismus, Freiheit macht arm; Zurück an den Herd, Frau Doktor!; Auf den Kanzler kommt es nicht mehr so an; Mega - Giga - Gaga; Microsoft - der Traum aller Fusionierer; Das Kürzel MAI; Die Zensurbehörde namens Markt; Das Fernsehen der Dealer und Händler; Der Anschlag auf das demokratische Fernsehen; Die kalte Blindheit ökonomischer Professionalität. Was sollen wir tun?: Den Kurs festlegen; Mord am Sonntag; Ohne Moral geht es nicht; Markt und Moral - die Mischung macht's; Die Revolution managen; Den Wandel sozialverträglich beschleunigen; Das Programm für neue Arbeitsplätze; Die europäische Einigung vorantreiben; Umverteilen und das Steuersystem reformieren; Öffentlich Druck machen und Widerstand leisten; Die Befreiungstechnologie; Von Citoyens, Citizens und Netizens; Europa im dritten Jahrtausend.
Thomas Mirbach (Mir)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.24.432.262.34 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Christian Nürnberger: Die Machtwirtschaft. München: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/7975-die-machtwirtschaft_10567, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 10567 Rezension drucken
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