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/ 21.06.2013
Manfred Lahnstein

Die offene Wunde. Antisemitismus als Schicksal?

Bergisch Gladbach: Bastei Verlag Gustav Lübbe 2007 (Bastei Lübbe Taschenbuch 60589); 350 S.; 8,95 €; ISBN 978-3-404-60589-7
Der Antisemitismus ist älter als manche Religion selbst – er ist so alt, wie der jüdische Glaube. Diese Feststellung impliziert aber auch, dass sich dieses „älteste, hartnäckigste Vorurteil in der Geschichte der Menschheit“ (11) immer wieder neuer gesellschaftlicher, kultureller, religiöser und politischer Vehikel bedient hat. Wie ist die Entwicklung des Antisemitismus von der vorchristlichen Zeit über den Holocaust bis zu aktuellen Ausprägungen wie dem sogenannten Antizionismus zu beschreiben und zu erklären und – aus Sicht des Autors noch wichtiger – was kann gegen ihn unternommen werden? Der Verfasser, Chef des Bundeskanzleramtes und Bundesfinanzminister unter Helmut Schmidt, hat sich seit langem um die Vermittlung von und den Austausch mit jüdischer Kultur verdient gemacht; nicht nur durch diverse Veröffentlichungen, sondern auch als langjähriger Präsident der Deutsch-israelischen Gesellschaft. Der ausführlichen Schilderung der unterschiedlichen Spielarten des Antisemitismus, vom vorchristlichen über den christlichen und den islamischen hin zum säkularen, folgt ein separater Teil, der sich mit seiner deutschen Variante befasst, da der Antisemitismus in Deutschland in Form des Holocausts in historisch singulärer Weise betrieben wurde. Dennoch endet die Darstellung nicht mit der Shoah, sondern weist eben gerade auch immer wieder auf die aktuelle Relevanz des Themas hin – im islamistischen Fundamentalismus wie im sich aufgeklärt dünkenden Westen. Es folgen unterschiedliche theoretische Erklärungsansätze, etwa aus der Vorurteilsforschung, aus Psychoanalyse, Sozialpsychologie oder Kulturwissenschaft. Lahnstein schließt mit einem Appell zu einer neuen Aufklärung, die sich dem gegenseitigen Verständnis widmet. Überzeugend wirkt vor allem die ausgewogene, umfassende Diskussion des Themas, die auf eindimensionale Darstellungen verzichtet, etwa indem auch der jüdische Umgang und die Konsequenzen des Antisemitismus für das jüdische Selbstverständnis thematisiert werden.
Carsten Michael Nickel (CMN)
B. A., Politikwissenschaftler, wiss. Hilfskraft, Lehrstuhl für Internationale Politik, Ruhr-Universität Bochum.
Rubrizierung: 2.232.312.35 Empfohlene Zitierweise: Carsten Michael Nickel, Rezension zu: Manfred Lahnstein: Die offene Wunde. Bergisch Gladbach: 2007, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/27319-die-offene-wunde_31987, veröffentlicht am 02.04.2008. Buch-Nr.: 31987 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
CC-BY-NC-SA