/ 11.06.2013
Paul Lafargue
Die Religion des Kapitals. Aus dem Französischen von Andreas Rötzer. Hrsg. von Jean-Pierre Baudet
Berlin: Matthes & Seitz 2009; 174 S.; brosch., 14,80 €; ISBN 978-3-88221-748-3Lafargue gilt mit seinem Pamphlet „Das Recht auf Faulheit“ als Enfant terrible des Sozialismus und wird diesem Ruf auch mit seiner Satire „Die Religion des Kapitals“ gerecht. In dem Text, der 1886 erstmalig veröffentlicht wurde, beschreibt er – nachdem das Christentum als traditionelle Stütze der Gesellschaftsverhältnisse weggefallen ist – zunächst die Suche des Bürgertums nach einer neuen Ideologie. Das Kapital selbst erhält zunehmend theologische und transzendente Motive und wird schließlich selbst zur Religion. In Predigen, Katechismen und Litaneien spinnt Lafargue den Faden weiter, den Marx im „Kapital“ beiläufig geäußert hat: Die Analyse der Ware ergibt, „dass sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken.“ (MEW 23, 85). Spätere Überlegungen, die an diese Hypothese anzuknüpfen versuchten, etwa von Walter Benjamin, Ernst Bloch und Georges Bataille, blieben in den Hauptströmungen des Marxismus eher randständige Positionen. Durch Lafargue wird dieser Gedanke weiter ausgeführt, weil er sich nicht allein auf die Produktionsseite konzentriert, sondern auch das psychische Element der Konsumtion erkennt. Jedoch sollte bedacht werden, dass Lafargue bewusst die satirische Form wählt, womit er seinen Text zum Amüsement über einen Irrglauben werden lässt. Insofern steht hinter dieser Farce ein todernster Kern: Wenn das Kapital – wie Baudet in seinen Essay im Anschluss an Lafargue ausführt – eine allem Seienden inhärente und allgegenwärtige Substanz ist, kann sich weder dem kapitalistischen Verwertungsprozess entzogen werden noch lässt sich überhaupt ein Heraustreten aus demselben denken. Was bei Weber noch als zivilisationsskeptische Vision erschien, wird von Baudet zugunsten einer rebellisch-romantischen Subjektivität verschärft: Kapitalismus ist zwar auch ein schöpferischer Prozess, aber primär bleibt er destruktiv, entfremdend und entwertend (Großtechnologien und ihr Versagen sind dem Autor Beweis genug) und muss deshalb grundsätzlich bekämpft werden. Was jedoch diese apokalyptische Vorsehung politisch konkret bedeutet, beschweigt der Autor.
Frank Schale (FS)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 5.33
Empfohlene Zitierweise: Frank Schale, Rezension zu: Paul Lafargue: Die Religion des Kapitals. Berlin: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/9627-die-religion-des-kapitals_36516, veröffentlicht am 28.01.2010.
Buch-Nr.: 36516
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Chemnitz.
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