/ 05.06.2013
Slavoj Žižek
Ein Plädoyer für die Intoleranz. Aus dem Englischen von Andreas Leopold Hofbauer
Wien: Passagen Verlag 1998 (Passagen forum); 101 S.; brosch., 28,- DM; ISBN 3-85165-327-0Ist der Postmodernismus Opfer seiner eigenen Strategie geworden, und korrumpiert die (angenommene) Beliebigkeit weltanschaulicher Vorstellungen in letzter Konsequenz die Idee einer von utopischen Synthetisierungsgedanken befreiten antitotalitären, unhintergehbar fragmentierten Wirklichkeit? Der Autor fragt, ob denn der intolerante Fundamentalismus heutzutage wirklich die größte Gefahr darstellt und multikulturelle Toleranz nicht eher als "repressive Toleranz" (Marcuse) ihre Ausprägung findet. Natürlich ist Zizek kein Rassist. Er attackiert die fraglos hingenommene, über wachsende Befriedigung der Konsumbedürfnisse vergessene und alimentierte Grundlage der Anerkennung der unterschiedlichen "Life-Styles" (13) und macht sie explizit: Die sublimierte Logik des Kapitals führt zu einer Entpolitisierung der Ökonomie und aufgrund deren beherrschender Stellung zur Entpolitisierung der Gesellschaft überhaupt. Das erinnert einerseits an Lyotard, der einen innerhalb unserer Wirklichkeit unlösbaren "Widerstreit" weltanschaulicher Grundaussagen konstatiert, da er im Rahmen des immer schon Akzeptierten nur auf dem Boden desselben als Rechtsstreit behandelt und entschieden werden kann. Zizek teilt diesen Pessimismus nicht; er plädiert für eine Überwindung der gerade in ihrer Toleranz im Sinne der Intoleranz funktionalisierten "Post-Politik" (37). Andererseits denken wir an Hannah Arendt, wenn der Ruf nach einer "Wiederaneignung des Politischen" laut wird: erst in der Beanspruchung von Universalität, im Wiederaufleben ideologischer Trennlinien kann das Nicht-Sagbare zu Wort kommen. Aber wer gibt uns Gewähr, daß diese Radikalität nicht selbst schon selbstreferentiell instrumentalisiert ist? Erfreulich ist, daß der Leser mit den zum Teil abstrakten und zuweilen ins Psychoanalytische abgleitenden Ausführungen (Freud, Lacan) nicht allein gelassen wird, sondern Orientierung an Beispielen vom politischen Umbruch in Osteuropa über New Labour und den Dritten Weg bis zur Globalisierung findet. Mit dem Nebeneffekt, daß die zwar provokante, aber gar nicht neue These in der Aktualität wiederbelebt werden kann.
Aus dem Inhalt: Die Hegenomie und ihre Symptome; Das Politische und seine Verleugnungen; Die repressive Toleranz des Multikulturalismus.
Dirk Märten (DM)
Rubrizierung: 5.43 | 2.22
Empfohlene Zitierweise: Dirk Märten, Rezension zu: Slavoj Žižek: Ein Plädoyer für die Intoleranz. Wien: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/6951-ein-plaedoyer-fuer-die-intoleranz_9311, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 9311
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