Die alle zwei Jahre stattfindenden Kongresse der Deutschen Gesellschaft für Soziologie sind stets auch Foren, auf denen diese mitgliederstarke Standesorganisation öffentlich „ihre breite Zuständigkeit, ihre Theoriekompetenz und ihr zeitdiagnostisch-interventionelles Potenzial" (Georg Vobruba [7]) demonstrieren möchte. Das für den Leipziger Kongress gewählte Thema kommt dieser Zielsetzung aufgrund des weiten Spektrums möglicher Anknüpfungspunkte sehr entgegen, die der Fokus Sicherheit/Unsicherheit gerade für die Vielzahl spezieller Soziologien (wie Bildungs-, Industrie-, Familien- oder Stadtsoziologie) bietet. Ob man die angesprochenen „funktionelle[n] Veränderungen zwischen Staat, Markt und Haushalt und den Wandel von gesellschaftlichen Steuerungsmechanismen sowie territoriale Bedeutungsverschiebungen weg von der nationalstaatlichen Ebene" (Jutta Allmendinger [4]) durchgängig der Kategorie „Entstaatlichung" zuordnen darf, mag man - wie einige Referenten (Claus Offe, Franz-Xaver Kaufmann) - durchaus bezweifeln. Aber unabhängig von derartigen Fragen einer theoretischen Situierung der aktuellen Transformationen von Staatlichkeit bieten die Bände sehr anregende Perspektiven und Deutungen jener weithin beobachtbaren Veränderungen auf Makro-, Meso- und Mikroebene, die - nicht nur in den westeuropäischen Gesellschaften - für viele eine Zunahme von Risiken bedeuten. Der Öffnung der DGS für Studierende und Promovierende Rechnung tragend, wollten die Kongressveranstalter ausdrücklich auch dem wissenschaftlichen Nachwuchs Publikationschancen bieten. Das zeigt sich unmittelbar in der (rekordverdächtigen) Zahl der Beiträge (über 400); die beiden voluminösen Bände enthalten die Vorträge der (15) Plenarveranstaltungen, die gut 300 Beiträge der Sitzungen der Sektionen und Ad-hoc-Gruppen sind als CD-ROM beigelegt. Aus dem Inhalt: 1. Eröffnungsvorträge Claus Offe: Freiheit, Sicherheit, Effizienz. Spannungen zwischen Gerechtigkeitsnormen für Arbeitsmarkt und Wohlfahrtsstaat (15-32) Jutta Allmendinger: Soziologie in Deutschland. Standortbestimmung und Perspektiven (33-50) Mittagsvorlesungen Dieter Grimm: Die Verfassung im Prozess der Entstaatlichung (71-93) Helmut Wiesenthal: Soziologie als Optionenheuristik (94-109) Arlie Russell Hochschild: Bush Hijacks American Fear (110-113) Franz-Xaver Kaufmann: Ambivalenzen der sozialen Sicherheit (114-133) Alois Hahn: Führt die Globalisierung zur Tilgung von Differenzen? (134-152) Plenum I: Konfliktlinien einer sich formierenden gesamteuropäischen Gesellschaft Georg Vobruba: Konfliktlinien und Mehrheitsverfahren in Europa (163-176) Martin Heidenreich: Regionale Ungleichheiten im erweiterten Europa (177-197) Detlef Pollack: Nationalismus und euroskeptische Einstellungen in postkommunistischen Staaten als Konfliktpotenzial einer erweiterten EU (198-216) Plenum II: Leben ohne Sicherheit Ursula Apitzsch: Individuelle Bearbeitung sozialer Unsicherheit in prekären Migrationsverläufen. Self employment als biographischer Prozess (219-235) Roswitha Breckner: Migration - ein biographisches Risiko? Zum Zusammenhang von Migrationserfahrung und Biographie (236-253) Helma Lutz: Leben in der Twilightzone. Migration, Transnationalität und Geschlecht im Privathaushalt (254-266) Georg Elwert: Schwarzarbeit: informelle Märkte und Institutionalisierung. Über unternehmerische Illegale, die Organisation illegaler Einwanderung und Institutionen (267-282) Plenum III: Gesellschaftliche Deutung und Verarbeitung von Terror Heinz Bude: „Die Rache der Überflüssigen" (288-294) Heinz Steinert: Zur Verarbeitung des 11. September 2001 in New York City. Selektive Realitäts-Konstruktion und populistische Politik (295-310) Matthias Junge: Die Bewältigung des 11. September in ausgewählten Tageszeitungen (311-321) Plenum IV: Globale Sicherheit? Nachhaltiges Erdsystem-Management zwischen Geo- und Mikropolitik Ortwin Renn: Globale Bedingungen für ein Erdsystem-Management: Der Beitrag der Soziologie (327-336) Birgit Blättel-Mink: Logiken der Nachhaltigkeit und ihre Umsetzung auf globaler und nationaler Ebene (337-354) Jobst Conrad: Nachhaltigkeit grüner Gentechnik durch Konsistenz: Anforderungen an und Restriktionen von Good Governance in einem regionalen Innovationsverbund (355-374) Bernhard Gill: Wissenschaftsmodell versus Naturmodell der Sicherheit. Widerstreitende kulturelle Präferenzen bei der Produktion und Konsumtion transgener Nahrungsmittel (375-392) Plenum V: Aktivierender Staat und das Konzept der „Employability" - ein Beispiel entstaatlichter Beschäftigungspolitik? Martin Baethge / Volker Baethge-Kinsky: Doppelte Privilegierung - Doppelte Depravierung: Zum Zusammenhang von Arbeitsorganisation und beruflichen Entfaltungschancen (395-417) Gerhard Bosch: Employability, lebenslanges Lernen und die Rolle des Staates (418-436) Irene Dingeldey: Implikationen und Konsequenzen des Konzepts der employability in der Arbeitsmarktpolitik: Die Beschäftigungsfähige Mutter im Ländervergleich (437-454) Hans J. Pongratz / G. Günter Voß: Die Institutionalisierung von Employability. Anforderungen an die Regulierung eines neuen Vermittlungsmodus zwischen Person und Betrieb (455-464) Plenum VI: Chancen und Schwierigkeiten einer europäischen Identitätsbildung angesichts von vertiefter Integration und Osterweiterung Karl-Dieter Opp: Die Identifikation der Bürger mit Europa. Einige Hypothesen und ihre empirische Überprüfung (475-497) Sylke Nissen: Die Unterstützung der Osterweiterung bei Eliten und Bürgern (498-515) M. Rainer Lepsius: Institutionelle Entkopplung, europäische Integration und Identitätsbildung (516-522) Plenum VII: Die Institutionalisierung des Lebenslaufs: Von der sozialen Konstruktion von Sicherheit zur Legitimation sozialer Ausgrenzung Martin Kohli: Der institutionalisierte Lebenslauf: ein Blick zurück und nach vorn (525-545) Heike Solga: Ein Leben ohne Schulabschluss - Das ständige Scheitern an der Normalbiographie (546-564) Reinhold Sackmann: Institutionalisierte Lebensläufe in der Krise (565-582) Hanns-Georg Brose: Die Subversion der Institution - Über Riesters Rente, lebenslanges Lernen und andere Kleinigkeiten (583-603) II. Plenum VIII: Sicherheitsrisiko Stadt? Eike Hennig / Robert Lohde-Reiff: Theoretisches Konstrukt und reale Differenzen: Begrenzte Sicherheit und grenzenlose Gefahr in der (post)modernen Stadt (607-623) Rüdiger Korff: Sicherheit im globalen Urbanismus zwischen Überwachung und lokaler Selbstorganisation. Ein Vergleich von Singapur, Kuala Lumpur und Bangkok (624-637) Hartmut Häußermann: Stadt? Aber sicher! (638-647) Plenum IX: Entstaatlichung. Neue Unsicherheiten in der Zivilgesellschaft Frank Adloff: Stiftungen in Deutschland - Institutionen zur Stärkung der Zivilgesellschaft oder zur Reproduktion sozialer Ungleichheiten? (654-664) Markus Gangl: Wohlfahrtsstaat und Erwerbsverläufe. Transfers als institutionelle Ressource zur Bewältigung von Arbeitslosigkeit (665-682) Martin Diewald / Michael Eberle: Unsichere Beschäftigung - unsichere Integration? Auswirkungen destandardisierter Beschäftigung auf die Einbindung in Familie und soziale Netzwerke (683-706) Werner Schneider / Christine Wimbauer: Entstaatlichung ‚von unten' - Ungleichheit in Paarbeziehungen: Zur Transformation der institutionellen Ordnung von Geld und Liebe im Privaten (707-722) Plenum X: Staat als Kulturleistung Trutz von Trotha: Gewalt, Parastaatlichkeit und konzentrische Ordnung. Beobachtungen und Überlegungen über (nicht nur) afrikanische Wege am Beginn des 21. Jahrhunderts (725-736) Georg W. Oesterdiekhoff: Die Entstehung des Staates in der Zivilisationstheorie von Norbert Elias und neuere Staatsentwicklungstheorien (737-752) Dirk Spreen: Die Schönheit des Sozialen. Krieg, Medien und Gesellschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts (753-769) Plenum XI: Politik des Erfolgs Ronald Hitzler: Erfolgskriterien. Versuch zu einer Begriffsbestimmung (778-791) Jens Beckert: Lachende Erben? Leistungsprinzip und Erfolgsorientierung am Beispiel der Eigentumsvererbung (792-801) Nina Degele: „Schön mache ich mich für mich." Schönheitshandeln als erfolgsorientiertes Handeln (802-817) Hans J. Pongratz: Legitimation durch Erfolg. Zum Wandel der normativen Grundlagen der Leistungsgesellschaft (818-829) Plenum XII: Private Lebensformen zwischen Entstaatlichung und Verrechtlichung Helga Krüger: Familienleben - mit Weitblick? Institutionenlogiken und staatliche Interventionspolitik (836-851) Gitta Scheller: Ostdeutsche Ehen und Familien im Spannungsfeld zwischen Entstaatlichung, neuen Aufgaben und Abhängigkeiten (852-851) Rüdiger Lautmann: Ohne Leitbild? Zum Rechtsbedarf der neuen Lebensformen, am Beispiel der „Homo-Ehe" (869-882) Plenum XIII: Wissen, Bildung, Unterhaltung in Entstaatlichungsprozessen Karin Gottschall: Von Picht zu PISA. Zur Dynamik von Bildungsstaatlichkeit, Individualisierung und Vermarktlichung in der Bundesrepublik (888-901) Dirk vom Lehn / Christian Heath: Das Museum als Lern- und Erlebnisraum (902-914) Silke Bellanger: Zwischen Nähe und Distanz. Vermittlung von Wissenschaft und Technik in Science Centers (915-927) Clemens Albrecht: Bildungskatastrophen als Krisen staatlicher Steuerung. Systemtheoretische Beobachtungen zur Rezeption der PISA-Studie (928-937) Plenum XIV: Bürgergesellschaft und Wohlfahrtsmärkte - Gegenbilder zum Wohlfahrtsstaat Carsten G. Ullrich: Die „Aktivierbarkeit" wohlfahrtsstaatlicher Adressaten. Zu den Grenzen aktivierender Sozialpolitik (946-960) Frank Nullmeier: Wohlfahrtsmärkte und Bürgerengagement in der Marktgesellschaft (961-974) Adalbert Evers: Öffentliche Einrichtungen als soziale Unternehmen. Potenziale hybrider Organisationsformen im Bereich sozialer Dienstleistungen (975-990) Plenum XV: Grenzen der Politik? Christian Lahusen: Kooperative Politik und die Entstaatlichung politischer Steuerung (993-1.009) Dieter Rucht: Global Governance - eine Antwort auf Steuerungsprobleme internationalen Regierens? (1.010-1.023) Abendveranstaltung: Globalisierung ohne Wohlfahrtsstaaten? Michael Zürn: Wohlfahrtspolitik im Zeitalter der Globalisierung - The New Politics of Intervention (1.065-1.072) Norbert Walter: Globalisierung ohne Wohlfahrtsstaaten? (1.073-1.081) Richard Münch: Der neue Wohlfahrtsstaat im transnationalen Raum: Von der konsumtiven zur produktiven Sozialpolitik (1.082-1.098) Stephan Leibfried: Thesen über „Globalisierung ohne Wohlfahrtsstaaten?" (1.099-1.108) Abendveranstaltung: Fundamentalistische Netzwerke als Bedrohung der Zivilisation? (1.109-1.140) Podiumsdiskussion: Entstaatlichung von Ernährungsrisiken? Öffentliche Podiumsdiskussion zur Soziologie des Rinderwahns (1.141-1.162) Podiumsdiskussion: Die Öffentlichkeit der Soziologie, Pierre Bourdieu zum Gedenken (1.163-1.169) Gedenkveranstaltung: Heinrich Popitz zum Gedächtnis (1.171-1.194) Abschlussveranstaltung: Entstaatlichung der kriegerischen Gewalt und die Ambivalenzen der Moderne (1.195-1.222)