Der Wiener Volkswirtschaftler präsentiert mit diesem Band neun anarchistische Parlamentarismuskritiken des 19. und 20. Jahrhunderts, die jeweils kurz eingeleitet werden. Das Spektrum reicht von prominenten Autoren wie Kropotkin und Mühsam bis zu dem heute weitgehend vergessenen Raphael Friedeberg oder Helmut Rüdiger. Senft, der bereits zahlreiche Schriften von und über libertäre Theoretiker veröffentlichte, skizziert zunächst in der ideengeschichtlichen Einleitung die Verengung des Liberalismus auf Rechtsstaat und Parlamentarismus im 19. Jahrhundert. Diese Entwicklung sei symptomatisch für den Liberalismus, der angesichts des als Bedrohung empfundenen demokratischen Ideals eher zur konservativen Zuschauerdemokratie neige und zu Politik- bzw. Parteiverdrossenheit führe. Die Elitenbildung einerseits und die Kultur der Alternativlosigkeit andererseits veranschaulichen das wachsende Legitimationsdefizit moderner Gesellschaften. Demgegenüber skizziert der Herausgeber die grundlegenden Thesen namhafter Anarchisten, die Theorie des Rätesystems und die kurzen Phasen libertärer Verwirklichungen. Die implizierte These, der Anarchismus würde die normative Schwäche der parlamentarischen Demokratie ausfüllen, mag jedoch bezweifelt werden, denn ob die Kritik am Parlamentarismus die zentrale Position des Anarchismus war und die anarchistischen Autoren überhaupt auf einen (normativ gefassten) Nenner zu bringen sind, ist eher fraglich, wie etwa die Stellung Max Stirners veranschaulicht, der leider im Band fehlt, aber im Vorwort mehrfach erwähnt wird.